Die Judenbuche
in den Ruf eines
hübschen, gewandten Burschen zu kommen. Sein Ohm, der nicht wohl ohne Projekte leben
konnte, unternahm mitunter ziemlich bedeutende öffentliche Arbeiten, zum Beispiel beim
Wegbau, wobei Friedrich für einen seiner besten Arbeiter und überall als seine rechte Hand
galt; denn obgleich dessen Körperkräfte noch nicht ihr volles Maß erreicht hatten, kam ihm
doch nicht leicht jemand an Ausdauer gleich. Margreth hatte bisher ihren Sohn nur geliebt,
jetzt fing sie an, stolz auf ihn zu werden und sogar eine Art Hochachtung vor ihm zu fühlen, da
sie den jungen Menschen so ganz ohne ihr Zutun sich entwickeln sah, sogar ohne ihren Rat,
den sie, wie die meisten Menschen, für unschätzbar hielt und deshalb die Fähigkeiten nicht
hoch genug anzuschlagen wußte, die eines so kostbaren Förderungsmittels entbehren konnten.
In seinem achtzehnten Jahr hatte Friedrich sich bereits einen bedeutenden Ruf in der jungen
Dorfwelt gesichert durch den Ausgang einer Wette, infolge deren er einen erlegten Eber über
zwei Meilen weit auf dem Rücken trug, ohne abzusetzen. Indessen war der Mitgenuß des Ruhm
auch so ziemlich der einzige Vorteil, den Margreth aus diesen günstigen Umständen zog, da
Friedrich immer mehr auf sein Äußeres verwandte und allmählich anfing, es schwer zu verdau-
en, wenn Geldmangel ihn zwang, irgend jemand im Dorf darin nachzustehen. Zudem waren
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
9 / 24
Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
Die Judenbuche
seine Kräfte auf den auswärtigen Erwerb gerichtet; zu Hause schien ihm, ganz im Widerspiel
mit seinem sonstigen Rufe, jede anhaltende Beschäftigung lästig, und er unterzog sich lieber
einer harten, aber kurzen Anstrengung, die ihm bald erlaubte, seinem früheren Hirtenamte
wieder nachzugehen, was bereits begann, seinem Alter unpassend zu werden, und ihm gele-
gendlichen Spott zuzog, vor dem er sich aber durch ein paar derbe Zurechtweisungen mit der
Faust Ruhe verschaffte. So gewöhnte man sich daran, ihn bald geputzt und fröhlich als aner-
kannten Dorfelegant an der Spitze des jungen Volkes zu sehen, bald wieder als zerlumpten
Hirtenbuben einsam und träumerisch hinter den Kühen herschleichend oder in einer Waldlich-
tung liegend, scheinbar gedankenlos und das Moos von den Bäumen rupfend.
Um diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine
Bande von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blaukittel alle ihre Vorgänger so weit an List
und Frechheit übertraf, daß es dem Langmütigsten zuviel werden mußte. Ganz gegen den ge-
wöhnlichen Stand der Dinge, wo man die stärksten Böcke der Herde mit dem Finger bezeich-
nen konnte, war es hier trotz aller Wachsamkeit bisher unmöglich gewesen, auch nur ein Indi-
viduum namhaft zu machen. Ihre Benennung erhielten sie von der ganz gleichförmigen Tracht,
durch die sie das Erkennen erschwerten, wenn etwa ein Förster noch einzelne Nachzügler im
Dickicht verschwinden sah. Sie verheerten alles wie die Wanderraupe, ganze Waldstrecken
wurden in einer Nacht gefällt und auf der Stelle fortgeschafft, so daß man am andern Morgen
nichts fand als Späne und wüste Haufen von Topholz, und der Umstand, daß nie Wagenspuren
einem Dorfe zuführten, sondern immer vom Flusse her und dorthin zurück, bewies, daß man
unter dem Schutze und vielleicht mit dem Beistande der Schiffeigentümer handelte. In der
Bande mußten sehr gewandte Spione sein, denn die Förster konnten wochenlang umsonst wa-
chen; in der ersten Nacht, gleichviel, ob stürmisch oder mondhell, wo sie vor Übermüdung
nachließen, brach die Zerstörung ein. Seltsam war es, daß das Landvolk umher ebenso unwis-
send und gespannt schien als die Förster selber. Von einigen Dörfern ward mit Bestimmtheit
gesagt, daß sie nicht zu den Blaukitteln gehörten, aber keines konnte als dringend verdächtig
bezeichnet werden, seit man das verdächtigste von allen, das Dorf B. freisprechen mußte. Ein
Zufall hatte dies bewirkt, eine Hochzeit, auf der fast alle Bewohner dieses Dorfes notorisch die
Nacht zugebracht hatten, während zu eben dieser Zeit die Blaukittel eine ihrer stärksten Expe-
ditionen ausführten.
Der Schaden in den Forsten war indes allzugroß, deshalb wurden die Maßregeln dagegen auf
eine bisher unerhörte Weise gesteigert; Tag und Nacht wurde patrouilliert, Ackerknechte,
Hausbediente mit Gewehren versehen und den Forstbeamten
Weitere Kostenlose Bücher