Die Juedin von Toledo
Alfonsos über die Genugtuung, die er dem bekümmerten Rodrigue verschafft hatte, hielt nicht langevor. Die eingesperrte Sünde kratzte. Eines Tages nach der Frühmesse fragte er den überraschten Kaplan der Königsburg: »Sage mir, hochwürdiger Bruder, was ist denn nun eigentlich Sünde?« Der Priester, ein jüngerer Herr, durch die außergewöhnliche Frage Don Alfonsos geschmeichelt, erwiderte: »Erlaube mir, Herr König, dir die Meinung des Heiligen Augustin zu zitieren. Sünde, sagt er, ist das Begehen von Handlungen, von denen der Mensch weiß, daß sie verboten sind, und deren sich zu enthalten ihm frei steht.« – »Ich danke dir, hochwürdiger Bruder«, antwortete der König. Er bedachte lange den Ausspruch des großen Kirchenvaters, dann zuckte er die Achseln und sagte sich, daß er zuletzt ja doch durch den Kreuzzug seiner Sünde ledig sein werde, wenn sie eine Sünde sein sollte.
Wiewohl man den König nicht öffentlich zu beschimpfen wagte, so ging doch viel böses Gerede um. Der Gärtner Belardo erzählte Alfonso, schlechte Leute hießen Unsere Herrin Doña Raquel eine Teufelin und erklärten, sie habe den Herrn König behext.
Das Gerede versteifte nur Alfonsos Willen, für seine Liebe zu Doña Raquel einzustehen. Nun gerade hielt er darauf, daß sie den kurzen Weg von der Galiana ins Castillo Ibn Esra in offener Sänfte zurücklegte. Etliche dann grinsten ihr frech ins Gesicht, und der oder jener rief ihr wohl auch zu: »Du Teufelin, du Hexe.« Aber Raquel sah keineswegs aus wie ein Sendling der Hölle; sie war jetzt weniger knabenhaft, es eignete ihr eine neue, wissende, schicksalsvolle Schönheit, welche alles Volk wahrnahm. Die Schmäher blieben vereinzelt; die meisten fanden es nicht verwunderlich, daß sich der König diese ausnehmend Schöne zur Freundin erlesen hatte, sie fanden es richtig. »Ah, du Schöne«, riefen sie ihr zu, sie hatten ihre Freude an ihr, sie nannten sie nicht anders als La Fermosa, die Schöne, und sie sangen freundliche, gefühlvolle, bewundernde Romanzen über ihre und des Königs Liebe.
Alfonso ließ es sich nicht nehmen, Raquel zuweilen in die Stadt zu begleiten. Er ritt neben ihrer Sänfte, und es mischtensich die Rufe: »Es lebe Alfonso der Edle!« und: »Es lebe die Schöne!«
Gerade die Hochrufe des Volkes machten Raquel bewußt, daß sie die Barragana des Königs war, sein Kebsweib. Sie schämte sich dessen nicht.
Alfonso spann sich immer tiefer in das Leben in der Galiana ein. Er war überzeugt, Gott habe ihn in seine besondere Hut genommen, und jeder Umweg, den die Vorsehung ihn machen lasse, werde ihn zuletzt zum rechten Ziele führen.
Er scheute sich nun nicht mehr, Staatsgeschäfte in der Galiana zu erledigen. Die meisten seiner Granden hielten es für einen Gnadenbeweis und für eine Auszeichnung, wenn er sie in die Galiana berief. Es kam wohl vor, daß einer leise befremdet vor der Mesusa stehenblieb. Alfonso gab dann lächelnd Bescheid: »Das ist ein gutes Amulett. Es hilft gegen den bösen Blick und verhindert, daß man mich übers Ohr haut.«
Etliche der Herren erfanden aber eine durchsichtige Ausrede und blieben der Galiana fern. Alfonso merkte sich ihre Namen.
In einem sachlich freundlichen Schreiben teilte Doña Leonor dem König mit, Don Pedro habe sie besucht, und sie glaube, daß allen Hindernissen zum Trotz eine Allianz mit Aragon und also der Feldzug gegen die Ungläubigen möglich sei. Sie käme gerne selber nach Toledo, mit Alfonso zu beraten; doch verbiete ihr eine Erkrankung des Infanten Enrique ihre Entfernung von Burgos. Sie bitte deshalb Alfonso, unverzüglich zu ihr zu kommen.
Der König erkannte sogleich, daß nun die Begegnung mit Doña Leonor nicht länger aufgeschoben werden konnte. Doch tröstete er sich damit, daß vor so wichtigen Staatsgeschäften persönliche Zwistigkeiten ihre Bedeutung verlören, so also, daß das Wiedersehen mit Leonor weniger peinlich sein werde.
Er teilte Don Jehuda mit, er werde in zwei Tagen nach Burgos reiten.
Er war jetzt oft mit seinem Escrivano zusammen, die beiden fühlten sich seltsam verknüpft. Der König brauchte die Schlauheit seines Juden. Er sehnte sich danach, seinen Heiligen Krieg zu beginnen, doch wollte er sich nicht zu neuen Voreiligkeiten verleiten lassen und hörte gerne die Einwände seines Juden. Jehuda seinesteils kannte den König besser als dieser sich selber. Er wußte, Alfonso konnte sich nicht losreißen von der Galiana und hieß es in seinem Innern wissentlich
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