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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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heranwächst, am einhundertunddreißigsten Tage nach der Empfängnis eigenes Wesen an. Raquel, als diese Zeit gekommen war, fragte Musa, ob das Geschöpf in ihrem Leib nun in der Tat ein richtiger Mensch sei. Musa erwiderte: »›So oder doch so ähnlich verhält es sich‹, pflegte mein großer Lehrer Hippokrates dergleichen Fragen zu beantworten.«
    Als die Entbindung herannahte, mehrten sich die Ratschläge und Vorbereitungen derer, die sie betreuten. Die Amme Sa’ad wollte, daß während des ganzen letzten Monats das Schlafzimmer Raquels durch Räucherwerk vor gewissenDschinns, bösen Geistern, geschützt werde, und war gekränkt, als Musa es untersagte. Jehuda ließ eine Thora-Rolle in Raquels Zimmer bringen und an den Wänden gewisse Amulette befestigen, »Kindbettbriefe«, um der Hexe und Verführerin Lilith, Adams erster Frau, und ihrer bösen Gefolgschaft den Eintritt ins Haus zu verwehren. Don Alfonso sah es mit Unmut und ließ seinesteils, auf Anraten Belardos, allerlei Heiligenbilder und Reliquien in die Galiana schaffen. Auch bat er, eine kleine Verlegenheit überwindend, den Kaplan der Königsburg, Doña Raquel in sein Gebet einzuschließen. Don Jehuda wiederum ließ täglich von zehn Männern Gebete sprechen für die glückliche Entbindung seiner Tochter.
    Er hatte die Galiana nicht betreten, seitdem Raquel dort lebte. Er versagte sich’s auch jetzt in der entscheidenden Stunde, sosehr es ihn drängte, Raquel nahe zu sein. Wohl aber schickte er Musa, und Alfonso war froh, Raquel in der Sorge des alten Arztes zu wissen.
    Die Wehen waren langwierig, und es entstanden Zwistigkeiten zwischen Musa und der Amme Sa’ad über die Maßnahmen, die man treffen sollte. Dann aber kam das Kind glücklich ans Licht. Die Amme bemächtigte sich seiner sogleich, rief ihm ins rechte Ohr den Aufruf zum Gebet, ins linke das Bekenntnis: »Allah ist Allah und Mohammed sein Prophet« und wußte nun triumphierend, das Kind gehörte dem Islam.
    Jehuda in diesen Stunden wartete im Castillo und schwankte, was er hoffen sollte und was fürchten, daß das Kind ein Knabe oder daß es ein Mädchen sei. Neue Zweifel stiegen ihm auf, ob nicht das lange Verharren im falschen Glauben ihm die Seele vergiftet habe, ob er die Kraft haben werde, das Rechte zu tun, ob er ein wahrer Jude geworden, ob er nicht in seinem Heimlichsten ein Meschummad geblieben sei.
    Mose Ben Maimon hatte das Grundbekenntnis der Judenheit in dreizehn Glaubenssätze zusammengefaßt. Peinlich erforschte sich Jehuda, ob er in Wahrheit und von innen her diese Sätze glaube. In der Fassung, die ihm vorlag, begann einjeder Glaubensartikel mit den Worten: »Ich glaube mit ungeteiltem Glauben.« Langsam sprach Jehuda die Sätze vor sich hin: »Ich glaube mit ungeteiltem Glauben, daß es Recht ist, den Schöpfer, gepriesen sei sein Name, anzubeten, ihn allein, und Unrecht, irgendein anderes anzubeten. Ich glaube mit ungeteiltem Glauben, daß die Offenbarung des Mose Unseres Lehrers, Friede sei mit ihm, die reine Wahrheit ist, daß er der Vater der Propheten ist, derer vor ihm und derer nach ihm.« Ja, er glaubte das, er wußte das, es war so, und keines Christus und keines Mohammed Lehre verlöschte die Offenbarung Unseres Lehrers Mose. Mit Inbrunst betete Jehuda die Schlußworte des Bekenntnisses: »Auf deine Hilfe hoffe ich, Adonai. Ich hoffe, Adonai, auf deine Hilfe. Adonai, auf deine Hilfe hoffe ich.« Er betete, er bekannte, er war bereit, für diesen seinen Glauben und für dieses sein Wissen den Tod zu erleiden.
    Aber alle Hingabe und Sammlung verhinderte nicht, daß seine Gedanken in die Galiana wanderten. Er wartete, wog, fürchtete, hoffte.
    Endlich kam der Bote, und noch vor dem Gruß rief er Jehuda die glückhafte Formel zu: »Ein Knabe kam zur Welt, Segen kam in die Welt.«
    Jubel ohne Maß war in Jehuda. Gott hatte ihn begnadet, Gott hatte ihm Ersatz gesandt für Alazar. Ein Knabe war zur Welt gekommen, ein neuer Ibn Esra, ein Nachfahr König Davids, sein, Jehuda Ibn Esras, Enkel.
    Noch im gleichen Augenblick indes verschattete Angst seinen Jubel. Ein Nachfahr König Davids – doch auch ein Nachfahr der Herzöge von Burgund und Grafen von Kastilien. Don Alfonso hatte den gleichen Anspruch wie er selber, Don Alfonso konnte für sein Recht die ganze Macht der Christenheit einsetzen, und er, Jehuda, stand allein. Aber: »Ich glaube mit ungeteiltem Glauben«, glaubte er, und: »Ich will mit ungeteiltem Willen«, wollte er, und: »Es soll dem ungläubigen

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