Die Juedin von Toledo
konnte, so kam ihn doch manchmal des Nachts Angst an: wie lange noch wird mein Glück dauern? Er hatte die abgründige Verzweiflung nicht vergessen, die ihn packte, als er die Nachricht vom Tode des Infanten erhalten hatte. Er war damals überzeugt gewesen, Alfonso werde sogleich zu Feld ziehen, und sein und seiner Raquel Glück werde zerbrechen. Dann hatte er erleben dürfen, wie Raquels Schwangerschaft den König noch enger an sie knüpfte, und er hatte sich geschämt, daß er an seinem Glück irre geworden war. Ganz los aber ließ ihn die Erinnerung an jene Stunden der Verzweiflung nicht mehr, und des Nachts vor allem stellte seine starke Phantasie Bilder der Angst vor ihn hin. Einmal, all seinen Künsten zum Trotz, wird der Krieg kommen, es wird ein langer und harter Krieg sein, es wird Rückschläge geben, und die Schuld der ersten Niederlage wird man ihm, Jehuda, und der Aljama von Toledo zuschreiben. Großes Leid wird die Judenheit Kastiliens heimsuchen, und die volle Wut Edoms wird ihn treffen und seine Tochter.
Auch die nähere Zukunft war unsicher. Was wird werden, wenn Raquel ihr Kind zur Welt bringt? Manchmal hatte Jehuda freche, irrsinnige Träume von dem Glanz, der um dieses sein Enkelkind sein wird. Die Barragana, das Kebsweib, die Uxor inferioris conditionis, genoß viele Rechte auch in der christlichen Gesellschaft, und das Kind, das sie gebar, standrechtlich den legitimen Kindern kaum hintan. Hispanische Könige hatten ihre Bastarde zu großen Herren gemacht. Der Traum, ein Enkel von ihm könnte Prinz von Kastilien werden, umtanzte den Jehuda.
Allein sein guter Verstand zerriß schnell den Traum und zeigte ihm die Gefahr, welche die Geburt dieses Enkelkindes ihm und Raquel bringen mußte. Don Alfonso wird es für selbstverständlich halten, daß sein Kind getauft wird; es war aberwitzig, dem König von Kastilien vorschreiben zu wollen, er solle sein Kind »im Unglauben« heranwachsen lassen. Und doch mußte Jehuda dieses Aberwitzige von ihm verlangen.
Gott narrte ihn, Adonai narrte ihn. Gott hatte es ihm nicht vergessen, daß er so lange Meschummad geblieben war. Gott hatte ihn geprüft, und er hatte versagt und seinen Sohn Alazar verloren. Nun sollte er ein zweites Mal geprüft werden.
Nicht nur der enge, strenge Rabbi Tobia, auch der freieste jüdische Denker, der heute lebte, Unser Herr und Lehrer Mose Ben Maimon, stellte die Forderung, selbst in der äußersten Not müsse der Jude fest bleiben und dürfe sein Kind nicht dem Untergang im Christentum preisgeben. Zum zehntenmal las Jehuda das »Sendschreiben über den Abfall«. Wer sich unter Todesdrohung zum Propheten Mohammed bekenne, lehrte da Ben Maimon, sei noch nicht verloren. Verloren aber sei, wer sein Haupt dem Wasser der Taufe darbiete; denn das Bekenntnis zur Dreifaltigkeit sei schlechthin und eindeutig Götzendienst, Verstoß gegen das Zweite Gebot. Und Ben Maimon führte an die Verse der Schrift: »Welcher eines seiner Kinder den Götzen gibt, der soll des Todes sterben. Und wo das Volk im Lande durch die Finger sehen sollte, daß es ihn nicht tötet, so will doch ich mein Antlitz wider denselben Menschen setzen und wider sein Geschlecht und will ihn und alle ausrotten aus ihrem Volke.«
Jehuda eröffnete sich seinem Freunde Musa. Musa konnte es verstehen, daß Jehuda die Taufe seines Enkelkindes unter keinen Umständen dulden wollte. »Aber wie willst du«, fragte er, »den König von Toledo und Kastilien verhindern, seinKind zum Christen zu machen?« Jehuda meinte schwunglos, er könne mit Raquel fliehen, ehe das Kind zur Welt komme. Musa ging darauf nicht ein. Jehuda, leidenschaftlich, beschwor ihn: »Du mußt mich verstehen. Du selber in all deiner Abgeklärtheit läßt nicht von deinem Islam. Du weißt, daß ich schwach war und meinen Sohn Alazar nicht gehalten habe und schuld bin an seinem geistigen Untergang. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dieser König mir den Enkel mit dem Wasser seiner Götter bespülte.«
Musa, beinahe lächelnd, antwortete: »Du sagst ›den Enkel‹, und damit sagst du heraus, daß du immer nur an einen Knaben denkst. Vielleicht aber ist das Kind ein Mädchen. Und wenn du zusiehst, wie Alfonso deine Tochter christlich erzieht, dünkt dir auch das eine Sünde, die deine Seele verkümmern macht?« Jehuda grollte: »Ich laß ihm das Kind nicht. Unter keinen Umständen lasse ich es ihm.« Doch schien es ihm in der Tat eine geringere Schuld, wenn er’s unterlassen sollte, sich für die geistige
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