Die Juedin von Toledo
Politik. Es ist wohl das letztemal, daß ich dich sehe, und ich möchte gerne deine Lust an der Politik höher schüren. Lust an der Macht ist unter den Leidenschaften die haltbarste.« Sie schloß die Augen und sprach aus ihrem Innern: »Es ist ein gewaltiger Spaß, Menschen hierhin jagen und dorthin, Städte bauen, Länder zusammenschmieden und wieder auseinanderreißen. Was aufrichten, ist Freude, und was zerstören, ist Freude. Ein rechter Sieg ist Freude, aber ich möchte auch meine Niederlagen nicht missen. Sag es nicht weiter: ich habe sogar an der Exkommunikation meinen Spaß gehabt. Wenn da der Bannfluch kommt mit Buch, Glocke und Kerze, wenn die Altäre dunkelwerden und die Bilder verhängt und die Glocken verstummen, dann wächst einem ein reißender Wille, die Kerzen wieder anzuzünden und die Glocken wieder zu läuten, ein unbändiger Wille, der den Witz schärft. Alle Mittel und Wege überlegt man: soll man’s mit dem Papst halten, der ist, und ihn schlau sänftigen? Oder soll man einen Gegenpapst einsetzen, der dem andern die Kerzen löscht und die Glocken stumm macht?«
Doña Leonor trank hingegeben die leisen Worte ein. Sie war der Mutter dankbar, daß sie sie in ihr Vertrauen einließ. Sie wird sich bewähren.
Ellinor öffnete die Augen und schaute der Tochter voll ins Gesicht. »Ein großes Herz«, sagte sie, »hat notwendig viele leere Stellen. Da nistet sich leicht die Langeweile ein, die Melancholie, die große Feindin, die Acedia. Man braucht eine gute Menge Leidenschaft, die leeren Stellen zu füllen. Nach Macht jagen, nach mehr Macht, ist ein großes, gutes, haltbares Feuer. Glaub es mir, Tochter, Politik kann einem das Blut hitzen wie die schönste Liebesnacht.«
Zweites Kapitel
Es hatte sich am Hofe von Burgos auch der Clerc Godefroi de Leigni eingefunden, um als Vertreter der Prinzessin Marie von Troyes an der Vermählungsfeier der Infantin Berengaria teilzunehmen. Godefroi war ein enger Freund des vor kurzem verstorbenen Chrétien de Troyes, des berühmtesten unter den Conteurs, und wo immer Godefroi sich zeigte, lagen die Ritter und Damen ihm an, aus den Verserzählungen seines toten Freundes vorzutragen.
Nun hatte der große Dichter Chrétien de Troyes eine ganze Reihe von schönen, wunderlichen und vieldeutigen Versromanen geschrieben. Er hatte erzählt von den bunten, märchenhaften und dennoch sinnvollen Schicksalen des Guillaumed’Angleterre, von der dunkeln, herrlichen Liebesverzauberung des Tristan und der Ysault, von den wunderbaren Abenteuern des Ritters Yvain in geheimnisvollen Schlössern, von den Fahrten und Grübeleien des treuherzigen, ahnungsvollen Knaben Perceval. Lieber aber als diese Geschichten hörten die Damen und Herren aus des Chrétien Erzählung von dem Ritter Lanzelot auf dem Karren. Vergebens wies Godefroi darauf hin, daß Chrétien diese Dichtung für nicht recht geglückt gehalten und sie auch nicht vollendet habe; der »Lanzelot« war nun einmal das populärste seiner Werke, und die Ritter und Damen wollten immer wieder gerade daraus hören.
Was sich aber in der Erzählung »Lanzelot auf dem Karren« zuträgt, ist dies: Lanzelot, der beste Ritter der Christenheit, liebt die Dame Genièvre, und da sie in Bedrängnis gerät, zieht er aus, sie zu befreien. Er verliert sein Pferd und verzweifelt daran, den Entführer der Dame weiter zu verfolgen. Da kommt ein Karren vorbei, ein Schinderkarren, und der Besitzer, ein scheußlicher Zwerg, lädt Lanzelot unter vielen höflichen, lächerlichen Verbeugungen ein, das Gefährt zu besteigen; keinen schlimmeren Schimpf aber gibt es für einen Ritter, als auf einem solchen Karren gesehen zu werden. Lanzelot zögert zwei Augenblicke; dann besteigt er den Karren und zieht auf ihm weiter, von den Bürgern verhöhnt. Er befreit seine Dame. Sie jedoch läßt ihn nicht vor sich, sondern trägt ihm auf, im nächsten Tournier seine Kraft und Geschicklichkeit zu verbergen und sich besiegen zu lassen. Er tut es und nimmt auch mancherlei weiteren Schimpf auf sich, weil es seine Dame so befiehlt. Sie aber bleibt ungnädig und läßt ihm zuletzt auch den Grund nennen: er wisse nicht, was wahre Liebe sei; er habe, bevor er den Karren bestieg, zwei Augenblicke gezögert.
Da Königin Ellinor und Doña Leonor den Vorträgen der Troubadours und Conteurs selten fernblieben, verlangte die Courtoisie, daß sich auch Don Alfonso manchmal einfand. Da hörte er denn eines Tages den Clerc Godefroi aus dem »Lanzelot« vorlesen.
Gemeinhin
Weitere Kostenlose Bücher