Die Juedin von Toledo
Seiltänzer.
Allein er verzieh, was immer ihn am Wesen der Dame Ellinor verdrießen mochte, über der Umsicht, mit welcher sie die Hindernisse aus dem Weg räumte, die der Allianz entgegenstanden. Souverän beurteilte und entschied sie das Ganze und die Einzelheiten. Sie hatte recht, wenn sie auch heute noch verlangte, als Haupt der Familie angesehen zu werden.
Alfonso war denn auch nur wenig überrascht, als sie ihn eines Tages ohne Federlesens fragte: »Und nun, mein Sohn, erzähl mir einmal, was für eine Art Frau ist sie eigentlich, deine Jüdin, die Schöne?« Gewiß war der König von Kastilien befugt, sich solche Neugier sogar von der Dame Ellinor zu verbitten. Andernteils hatte sie das Recht zu ihrer Frage. Überdies war die Galiana Vergangenheit, er konnte aufrichtig, ruhig und sachlich von Raquel erzählen.
Aber als er sich dazu anschickte, merkte er erstaunt: er wußte nichts von Doña Raquels Wesen und Art; was er wußte, war ungenau, locker, spärlich, es ergab kein Bild. Er, der so stolz war auf sein gutes Gedächtnis, konnte sich seiner Liebsten nur mehr undeutlich erinnern.
»Sie ist in Wahrheit sehr schön«, sagte er endlich. »Es ist keine Schmeichelei, wenn alle sie ›Die Schöne‹ nennen. Sie ist zauberhaft und hat mich eine ganze Weile lang bezaubert«, gab er offen zu. »Aber das ist aus«, fuhr er fort. »Abest, sie ist fort. Sie ist fort aus meinem Geblüt«, schloß er entschieden, endgültig.
Ellinor antwortete freundlich: »Ich hatte gehofft, du würdest sie mir deutlicher schildern können. Liebesgeschichten haben mich von jeher interessiert. Aber ich sehe, zum Troubadour oder zum Conteur eignest du dich wenig. Eines kannst du mir vielleicht klarer beantworten: Wie bist du mit deinem Söhnchen zufrieden? Ist es ein erfreulicher kleiner Bastard?«Alfonso sagte stolz: »Ja, da muß ich ihr und dem Himmel dankbar sein. Einen wohlgeratenen Sohn hat sie mir geboren, schön und fest und groß, wiewohl sie selber eher zart und klein ist. Und klug scheint das Söhnchen; ungewöhnlich lebendige, gescheite Augen hatte es schon vom ersten Tage an.« – »Kein Wunder«, meinte Ellinor, »da ja die Mutter eine Jüdin ist. Wie heißt er übrigens, dein Bastard?« – »Sancho«, sagte Don Alfonso, »und ich will ihm die Grafschaft Olmedo geben.« Vollkommen vergessen hatte er, daß das Söhnchen noch nicht getauft war. »Findest du es richtig, Dame und Mutter«, fragte er, »daß ich ihm die Grafschaft gebe?« – »Hat sie viel Landgut, diese Grafschaft«, erkundigte sich Ellinor, »oder nur eine schöne Burg und ein paar hundert Bauern?« – »Es ist eine sehr reiche Grafschaft, soweit ich unterrichtet bin«, antwortete Alfonso. Ellinor erläuterte: »Es macht nämlich jetzt einen Mann stärker, ertragreiches Landgut zu besitzen als eine turmreiche Burg. Ich habe viele meiner Burgen gegen Landgüter vertauscht. Und wenn dein Bastard groß geworden ist, werden Schlösser noch weniger und Landgüter noch mehr wert sein.« – »Du hast also nichts dagegen einzuwenden, Dame und Königin«, vergewisserte sich Alfonso, »daß ich das Söhnchen zum Grafen von Olmedo mache?« – »Wenn dein Sancho ein erfreulicher Bastard ist«, antwortete bedächtig und entschieden die Königin Ellinor, »dann gehört es sich, daß du ihn gut hältst.«
Zwei Tage später wurden in feierlicher Zeremonie die beiden Prinzessinnen, deren eine die künftige Königin von Francien sein sollte, der alten Ellinor vorgeführt.
Die Versammlung war groß und glänzend. Anwesend waren die Granden und Prälaten Kastiliens und Aragons, dazu die Barone der Königin Ellinor und der Sondergesandte Philipp Augusts von Francien, der Bischof von Beauvais.
Wochenlang hatten beflissene Hände an den Kleidern der beiden Infantinnen gewirkt, genäht und gewoben. So traten sie schön geschmückt vor die edle, wählerische Versammlung,nette Mädchen mit hübschen, weiß und rosigen, fleischigen Kindergesichtern, wohlgeraten, ausgezeichnet erzogen. Sie legten das damenhaft gelassene Betragen an den Tag, das die Courtoisie erforderte und das sie mit viel Mühe erlernt hatten. Innerlich waren sie voll von Befangenheit und dem Bewußtsein ihrer Wichtigkeit; nicht nur ihr eigenes Schicksal, auch das vieler Christenmenschen in manchen Ländern hing vom Ausgang dieser Prüfung ab.
Berengaria, Infantin von Kastilien, Königin von Aragon, auf bevorzugtem Platz auf der Estrade sitzend, betrachtete herablassend die Schwestern. Eine wird also
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