Die Juedin von Toledo
daß sie einen kleinen Schrei nicht unterdrücken konnte. Packte sie an den Schultern, schüttelte sie. Das Gesicht ganz nah an dem ihren, bewarf ersie mit wütigen Worten: »Du hast meinen Sohn, meinen Sohn Sancho hast du deinem Vater überlassen? Er hat seinen heiligen Eid gebrochen, der Hund, und du hast es geduldet? Hast ihm noch geholfen, was?«
Raquel, mit Mühe, sagte: »Ich habe nicht geholfen, ich habe meinem Vater das Kind nicht übergeben. Aber ich weiß, und ich sag es dir: mein Vater hat recht.«
Alfonsos Hirn war überschwemmt mit Schelt- und Schimpfreden aus den Sendschreiben des Papstes gegen die Juden, aus den Haßpredigten der Geistlichen: Das Gezücht der Hölle, der Sturmvogel des Satans. Es riß ihm die Hand zur Faust zusammen, auf sie einzuschlagen.
Da sah er sie.
Sie hatte Brust und Kopf zurückgebogen und die eine Hand leicht gehoben, in Abwehr, nicht in Furcht. Aus dem blaßbräunlichen Gesicht schauten ihm noch größer als sonst die blaugrauen Augen entgegen. In ihnen war Staunen, Schreck, Enttäuschung, Erschütterung, Zürnen, Trauer, Liebe; alles, was ihre Lippen nicht sagten, vielleicht nicht sagen konnten, das sagten Blick und Gebärde mit solcher Gewalt, daß er, der Welt und Menschen mit den Augen begriff, es wider Willen sogleich spürte, erkannte.
Er ließ die Hand sinken. Schnaubte, ein kleines, verächtliches, böswilliges Schnauben. »Ihr habt mir also das Kind gestohlen, ihr Juden«, sagte er. »Ich hätte mir’s denken sollen.« Er lachte. Ein helles, zerhacktes, häßliches Lachen, das Raquel in den Kopf drang wie ein Messer.
Er drehte sich unvermittelt um, verließ das Haus, ritt zurück nach Toledo.
Befahl Jehuda in die Burg. »Du hast also deinen Eid gebrochen«, stellte er sachlich fest. Jehuda antwortete: »Das hab ich nicht, Herr König. Es fiel mir nicht leicht, den übeln Eid zu halten, aber ich hab ihn gehalten. Ich habe meinen Enkel nicht zum Juden gemacht, Gott verzeih mir das Verbrechen.«
Alfonso brach aus: »Du hast meinen Sohn gestohlen, du Hund! Du hältst ihn als Geisel. Du willst mich zwingen, meinenFeldzug aufzugeben, deine Moslems zu schonen. Hund! Verräter! Ich lasse dich hängen!«
Jehuda erwiderte still: »Niemand hält deinen Sohn als Geisel, Herr König. Das Kind ist in Sicherheit vor dem Krieg, vor den Christen und vor den Moslems, das ist alles. Hier in Toledo ist das Kind gefährdet, wenn deine Majestät nicht da ist. Überdenk es in Ruhe, Herr König, und du wirst das gleiche finden. Jetzt ist der Knabe in zuverlässigen Händen. Raquel weiß nicht, wo er ist. Das ist hart für sie. Auch ich weiß es nicht genau, und es ist hart auch für mich.« Mit der alten Überlegenheit und unterwürfigen Dreistigkeit fügte er hinzu: »Ich begreife, daß es dich verlangt, mich hängen zu lassen. Aber dadurch würdest du den Mund stumm machen, der dir einmal wird sagen können, wie es um deinen Sohn steht.« Und mit ehrerbietiger Vertraulichkeit schloß er: »Wenn der Krieg vorbei und keine Gefahr mehr ist, hole ich das Kind zurück. Sei du des gewiß, Herr König. Ich habe meinen Enkel nie gesehen; ich möchte ihn sehen, bevor ich hinuntergehe. Auch Raquel könnte es schwerlich tragen, das Kind zu verlieren.«
Würgend überfiel den Alfonso die Erkenntnis seiner Hilflosigkeit. Unlöslich verknüpft mit dem Juden war er. Der Jude hielt ihn an der Leine.
Ohne ein Wort, mit einer zornigen, herrischen Gebärde wies er ihn aus dem Raum.
Ruhiger geworden sagte er sich, daß ihm Jehuda den Sohn nicht aus reiner Bosheit gestohlen hatte. Raquel hatte nicht gelogen; sie wußte offenbar wirklich nicht, wo das Kind versteckt war, und sicherlich nicht hatte sie es dem Jehuda leichten Herzens überlassen.
Das Bild der stumm beredten Raquel, ihrer zürnenden, trauernden, klagenden, liebenden Gebärde wollte ihm nicht aus dem Sinn. Voll kindlichen Zornes suchte er’s zu vertreiben. Rief sich zurück Gesten und Reden Raquels, die irgendwann sein Mißfallen erregt hatten, eine nach der andern, mit bösartiger Vollständigkeit. Wie unbehaglich ihr zumute gewesen war, als er sie vor sich aufs Pferd gehoben und mit ihrgaloppiert hatte. Auch für seine Hunde, seine Falken hatte sie niemals Teilnahme gezeigt. »Wer die Tiere nicht liebt, und wen die Tiere nicht lieben, ist verflucht«, hieß es mit Recht. Sie hatte kein Aug und kein Herz für seine ritterlichen Tugenden, seine königlichen Gaben, eher waren sie ihr verdächtig. Sie haßte den Krieg. Sie gehörte zu
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