Die Juedin von Toledo
ihr auseinander: »Wäre er nur Alfonsos Sohn, dann wäre er nicht gefährdet, und er wäre nicht gefährdet, wäre er nur dein Sohn. Ihn gefährdet, daß er dein und Alfonsos Sohn ist. Als Sohn Alfonsos ist er zu Großem bestimmt; das wissen alle, und sie billigen es. Doch viele sehen es nicht gern, daß ein Sohn von dir zu Großem bestimmt ist. Im Castillo von Burgos sind jetzt zahlreiche versammelt, die es nicht gerne sehen. Wir haben diesen Mächtigen nichts entgegenzustellen als das Vertrauen auf Gott.«
Raquel wurde aus den Worten des Vaters nicht klug. Er sprach wohl von Alfonsos Absicht, den Knaben taufen zu lassen, und nahm an, Alfonso werde auf ihre Wünsche keine Rücksicht mehr nehmen, schon um das Kind vor den Nachstellungen der Gegner zu schützen. Ja, einen Atemzug lang wünschte sie’s. Sogleich aber kam ihr die ganze Sündhaftigkeit des Wunsches zu Bewußtsein; es war nicht denkbar, daß Immanuel entweiht werden sollte durch das Wasser des Götzendienstes.Und der Vater kannte ihren Alfonso nicht. Alfonso liebte sie, Alfonso wuchs ihr zu, niemals wird er sie derart in die Seele hinein kränken. Sie sagte fast bittend: »Alfonso hat mir nur ein einziges Mal davon gesprochen, daß er unsern Immanuel taufen lassen wolle. Dann nie mehr. Ich bin gewiß, er hat verzichtet.« Jehuda wollte ihr den Glauben nicht nehmen, er ging darauf nicht ein. Er sagte: »Don Alfonso hat Papiere vorbereitet, die deinen Sohn zum Grafen von Olmedo machen. Ich kann mir nicht denken, daß eine gewisse Dame, die dem König nur Töchter geboren hat, das hinnehmen wird. Don Alfonso ist ein mutiger Mann und ohne Arg und Vorsicht. Er ist nicht geneigt, einer so großen und ihm nahestehenden Dame ein Verbrechen zuzutrauen. Ich fürchte, er irrt sich.«
Raquel war erblaßt. Sie dachte an die vielerlei Geschichten von bösen, eifersüchtigen Frauen, welche die Lieblingssklavin des Mannes quälten und umbrachten. Und hatte nicht sogar die Stammesmutter Sara, die eine große, fromme Frau war, aus Neid und Eifersucht das Kebsweib Hagar mit dem kleinen Ismael in die Wüste getrieben, auf daß sie verdursten sollten? Raquel schwieg lange, eine volle Minute lang. Dann fragte sie: »Was rätst du, mein Vater?« Der antwortete: »Wir könnten versuchen, zu fliehen, du, ich und das Kind. Aber es wäre gefährlich. Wir sind auffällige Leute, wir können uns schwer verbergen, und das Volk ist erregt, es denkt an den Krieg, es sieht Feinde in allen Fremden.«
Raquel, mit blassen Lippen, fragte: »Ich soll vor Alfonso fliehen?« – »Nicht doch«, beruhigte sie Jehuda. »Sagte ich nicht, es wäre gefährlich? Besser ist es, das Kind allein wegzubringen in sichere Hut.« Raquel sagte, und ihr ganzer Leib war Abwehr: »Ich soll das Kind vor Alfonso verstecken?« Jehuda, vorsichtig, beschwichtigend, antwortete: »Dein Alfonso weiß es nicht, aber er kann den Knaben nicht schützen. Der Knabe ist sicher nur in Alfonsos Gegenwart, und er zieht in den Krieg und kann das Kind nicht mitnehmen. Niemand kann das Kind schützen hier in Kastilien. Du rettestdas Leben unseres Immanuel, wenn du dich für die Dauer des Krieges von ihm trennst.« Da sie schwieg, fuhr er fort: »Ich hätte das Kind wegbringen lassen können, ohne dich zu fragen, und dir hinterher erklären, warum es so sein mußte, und ich weiß, du hättest mich verstanden und mir verziehen. Aber du bist eine Ibn Esra. Ich will keine Heimlichkeiten haben vor dir, ich will dir keine Verantwortung abnehmen. Ich bitte dich, alles gut zu bedenken, und dann sag mir: So geschehe es, oder: So geschehe es nicht.«
Raquel, in ungeheurer Not, sagte: »Du willst das Kind aus Kastilien fortbringen?« Und nochmals: »Du willst Immanuel aus Kastilien fortbringen?« Jehuda sah ihre Not, Erbarmen schnürte ihm die Brust, er sagte zärtlich und konnte nicht verhindern, daß er ein wenig lispelte: »Hab keine Angst, Raquel, meine Tochter. Vertraue mir. Ich lasse das Kind wegbringen durch einen geschickten und sichern Mann, den sichersten, den ich kenne, und den treuesten. Niemand soll wissen, wo das Kind ist, nur dieser Getreue. Niemand soll hier in Toledo sein, der dem König sagen könnte, wo das Kind ist. Wenn er dir droht, wenn er eine Antwort erzwingen will, dann sollst du erwidern: ›Ich weiß es nicht‹, und es soll die Wahrheit sein.« Und da Raquel hilflos und verlöscht dasaß, sagte er: »Auf solche Art ist das Kind nicht gefährdet, und du bist es nicht, meine Raquel. Der einzige, der sich
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