Die Juedin von Toledo
sollten, dann wisse, daß viele Tausende deines Volkes dein Andenken segnen. Sei Friede mit dir, Jehuda.« – »Mit dir sei Friede, Ephraim«, sagte Jehuda.
Jehuda, nachdem ihn Ephraim verlassen hatte, hockte lange wie ausgeleert. Er bereute es nicht, daß er Ephraims Angebot abgelehnt hatte, er war ein mutiger Mann. Aber er hatte viele Menschen sterben sehen und wußte genau, worum es ging. Er wußte: das arabische Wort, welches den Tod den Vernichter aller Dinge nannte, war mehr als hohler Schall, und schämte sich nicht, zu zittern, wenn er an die schwarze Leere dachte, in die er fallen sollte.
Es war ihm Erleichterung, daß Ephraim seine Antwort nicht als endgültig ansah. Immer neue Bedenken kamen ihm. Riß er nicht die Tochter mit in den Untergang? Er mußte sie fragen, bevor er endgültig wählte. Ihrer Entscheidung wird er sich fügen.
In dürren Worten sprach er ihr von dem Tod, der jetzt hierin Toledo überall nach ihnen griff, und von dem Angebot Ephraims, sie in die Sicherheit der Judería aufzunehmen.
Raquel hatte von der Niederlage Alfonsos gewußt, aber erst jetzt, da der Vater sprach, erkannte sie ihren ganzen, furchtbaren Umfang. Sie spürte grauenvolle Angst für sich und den Vater, aber mehr noch Mitleid mit Alfonso. Dieser Mann, dieser König, der nichts war als Strahlen und Sieg, konnte er den Zusammenbruch überstehen? Und während sie spöttisch und zärtlich dachte: Nun wird er mir nicht mein Sevilla zeigen, der Arme, Unselige, sah sie vor sich sein Gesicht, trotzig, wütend, voll von fressendem Leid. Und gleichzeitig jubelte es in ihr: Nun wird er bald, sehr bald wird er in der Galiana zurück sein. Er hat es mir versprochen. Und kein Panzer und Eisen wird mehr um ihn sein, und meine Worte werden eingehen in seine Brust.
Ohne Zögern, sowie Jehuda zu Ende gesprochen hatte, antwortete sie: »Es ist mir nicht erlaubt, in die Judería zu gehen, mein Vater. Don Alfonso hat mir aufgetragen, in der Galiana auf ihn zu warten.«
Es traf den Jehuda ins Herz, daß sie an nichts anderes dachte als an den Wunsch Don Alfonsos. Er sagte: »Da es so dein Wille ist, meine Tochter, gehe auch ich nicht in die Judería.« Doch sprach er nicht mit der gewohnten Entschiedenheit, vielmehr schaute er ihr prüfend in das stille Gesicht. Noch war in ihm eine kleine Hoffnung, sie werde widersprechen: Nein, mein Vater, ich will nicht, daß du untergehst. Ich will, daß du lebst. Ich folge dir, wie immer du entscheidest. Aber sie sagte nichts, und er dachte bitter: Ich selber habe sie dem Manne übergeben. Ich habe sie dem Manne zugetrieben. Ich darf nicht klagen, wenn sie mich jetzt sterben läßt, ehe sie handelt gegen den Wunsch des Mannes.
Plötzlich, aufleuchtend, bat sie: »Komm doch du zu mir, mein Vater. Komm du zu mir in die Galiana.« Er ahnte, was in ihr vorging, ihr lebendiges Gesicht ließ es ihn wissen. Sie hatte begriffen, in welcher Gefahr sie beide waren, aber trotzdem glaubte sie, in der Galiana sei Sicherheit; sonst hätte Alfonsoihr nicht aufgetragen, dort zu bleiben. Er, Jehuda, wußte: dies war Traum und Wahn; er wußte: sie gefährdete ihn, er sie, keiner konnte keinem helfen. Aber es war eine tröstliche Vorstellung, zusammenzusein in der äußersten Stunde, und er zerstörte nicht ihren Traum.
Er willigte ein, noch in dieser Nacht mit ihr in die Galiana zu gehen.
Er forderte Musa auf, mitzukommen. Der fand es begreiflich, daß Raquel in der Galiana bleiben, und auch, daß Jehuda die Tochter begleiten wollte. Für ihn selber aber, meinte er, habe es keinen rechten Sinn, in solcher Lage den Ort zu wechseln. »Laß mich hier bei unsern Büchern«, bat er. »Es wäre ein Unrecht, sie ohne Hüter zu lassen. Vielleicht wäre es gut«, erwog er und belebte sich, »zwei oder drei der kostbarsten Manuskripte in die Judería zu schaffen. Wie gut, daß der Sefer Hillali schon dort ist.«
Jehuda und Musa saßen nach dem frühen Abendessen noch zusammen, redend, trinkend. Um sie war der Duft der vielen Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten. Sie sprachen von ihrer Bedrängnis mit der Sachlichkeit erfahrener Männer. Sie sprachen mit leiser, spöttischer Ehrerbietung vom Tode.
Musa stand an seinem Schreibtisch, kritzelte Kreise und Arabesken und meinte: »Es sind nicht Alfonsos Sterne, die ihn und uns in diese peinliche Situation gebracht haben: es ist sein Wesen, es ist sein Rittertum. Das Rittertum und die Pest sind die schlimmsten Geißeln, mit denen Gott seine Geschöpfe
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