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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Es konnte nicht sein, daß der Tod, der Zerstörer aller Dinge, sie anrührte, bevor Alfonso kam. Sie stieg hinauf zu dem Ausblick, von dem sie die Straße übersehen konnte, die von Toledo herunterführte. Sie wartete heiß und zuversichtlich.
    Am zweiten Tag kam Don Benjamín in die Galiana, mit Gefahr des Lebens, als Bote Don Ephraims. In glühenden Worten beschwor er Jehuda und Raquel, sich in den festen Schutz der Judería zu begeben. Es quälte und beglückte Jehuda, daß sie ein letztes Mal versucht wurden. Aber Raquel sagte sanft und bestimmt: »Don Alfonso hat mir befohlen, hier zu bleiben. Ich bleibe. Du, mein Freund Don Benjamín, wirst mich begreifen.«
    Benjamín, so scharf ihn ihre Worte peinigten, verstand sie. Ihre Seele blieb verbunden mit diesem Ritter, dem König von Edom, dem Manne des Krieges. Das Elend, das sein ruchlos verspieltes Heldentum über die Halbinsel gebracht hatte, trübte ihr nicht seinen Glanz. Sie liebte ihn weiter, sie glaubte weiter an ihn, sie lehnte, weil er ihr herrscherhaft ein paar freundliche Worte hingeworfen hatte, die Zuflucht der Judería ab. Mehr als das: Doña Raquel, diese Raquel, wie er sie sanft und stolz dastehen sah, schien ihm gar nicht mehr denkbar unter dem Volk der Judería. Neid, Bosheit, widerwillige Bewunderung, Schmähsucht, Neugier würde dort um sie herum sickern und sudeln. Nein, sie war nicht denkbar inmitten all des kleinen Unflats.
    Er sagte: »Ich werde nicht weiter in dich drängen, Doña Raquel, und nicht in dich, Don Jehuda. Aber laßt mich hierbleiben bis zur Nacht. Dann will ich zurückkehren ohne euch.«
    Er blieb und erwies sich als unaufdringlicher, einfühlsamer Gast. Er spürte es, wenn Jehuda mit Raquel allein sein wollte, und war zur rechten Zeit wieder da. Bald waren sie zu dreien, bald saß Jehuda mit Raquel in ihrem Zimmer, bald ging Benjamín mit ihr die Kieswege des Gartens entlang.
    Raquel war einsilbig, aber ihre Stummheit schien Benjamín beredter als Worte. Er versuchte, sie zu zeichnen. Gab es auf. Es war Vermessenheit, mit Gott wetteifern zu wollen, der diese geschaffen hatte. Wer durfte, und wäre er der Meister der Meister, daran denken, Raquels innere Harmonie wiederzugeben, die tiefe Übereinstimmung von Gestalt, Gesicht, Bewegung? An ihr offenbarte sich die Lehre des Plato: »Die Schönheit steht nicht höher als die andern Ideen, aber sie leuchtet durch das Auge, den hellsten unserer Sinne, heller als alle andern Urbilder durch die Körperlichkeit.« Sie war ein Gleichnis, Raquel, ein Gleichnis dessen, was den Menschen beglückt und erhöht. Ein jeder, wenn er sie nur vorübergehen sah, mußte besser werden. Dieser rohe und ritterliche König war der einzige, der nicht besser geworden war durch sie – und darum der einzige, den Benjamín an diesem Tage haßte. Er spürte schmerzhaft, wie Raquel noch immer hoffte, den Un-Menschen zu vermenschlichen, und er liebte sie noch mehr um diesen ihren kindlichen, unzerstörbaren Glauben.
    Am späten Nachmittag saßen Jehuda und Benjamín am Rande des Teiches. Es war sehr heiß, doch hier schien die Hitze weniger drückend; sie kühlten die Füße im Wasser und erfreuten sich der Kühlung. Es war dies aber am zweitletzten Tage vor Jehudas Tod.
    Und Jehuda bat: »Sag mir doch, mein junger, der Schrift und vielen andern Wißtums kundiger Don Benjamín: wie denken deine Lehrer, und wie denkst du selber über das Fortleben nach dem Tode?«
    Don Benjamín schaute zu, wie die Mücken über dem Teich tanzten, sah ein Blatt ins Wasser fallen, schwimmen, ein wenig treiben. Legte sich seine Antwort zurecht. Sagte: »Es lehrt Unser Herr und Lehrer Mose Ben Maimon: Anteil an der Unsterblichkeit hat nur ›der erkennende Teil‹ des Menschen. Nur ›der erworbene Verstand‹ überlebt den Körper, nur jener kleine, edelste Teil der menschlichen Seele, der sich ehrlich und mit Erfolg um die Erforschung der Wahrheit bemüht hat. So lehrt Mose Ben Maimon.«
    Er schwieg eine Weile, dann fügte er hinzu: »Aber im Talmud heißt es: Um des Friedens willen darf sogar die Wahrheit geopfert werden.«
    Der Abend fiel ein. Benjamín verzögerte den Abschied. Doch der blasse, dünne Mond färbte sich stärker, und nun mußte er wohl gehen.
    Jehuda und Raquel begleiteten ihn zum Tor. »Sei Friede mit euch«, sagte er. An der Biegung des leise ansteigenden Weges wandte er sich um. Im unsichern Licht flirrte die Inschrift Alafia, Heil, Segen. Jehuda und Raquel waren nicht mehr da.
    Immer heißer wurde die

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