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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Verwesung und Wurmfraß. Aber die Vorstellung ließ ihn merkwürdig stumpf. Was suchte er hier, an diesem kläglichen, häßlichen Grab? Er schuldete ihnen nichts, den beiden, die hier unten lagen. Sie schuldeten ihm. Schuldeten ihm seinen Sohn. Niemals jetzt wird er erfahren, was aus seinem Sancho geworden ist. Es war, als läge das Kind da unten mit den andern, als läge da untenseine, Alfonsos, Zukunft verscharrt und verwesend. Er hätte nicht hierherkommen sollen. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund, die Lippen verzogen sich ihm.
    Er schleppte sich fort in den Schatten des nächsten Baumes. Streckte sich hin. Da lag er mit geschlossenen Augen, die Sonne fleckte sein Gesicht. Wieder suchte er sich Raquel zurückzurufen. Doch wieder sah er nur Hüllen, sie selber blieb vag. Er sah sie in einem hemdartigen Gewand, wie sie ihn in ihrem Schlafzimmer erwartete. Sah sie in jenem grünen Kleid, in welchem sie ihm das erstemal begegnet war in Burgos, da sie sich lustig gemacht hatte über das alte Schloß seiner Väter. Und es war Hexerei und schwarze Magie, daß sie ihn damals, wiewohl sie doch gar nicht da war, gezwungen hatte, ihr diese Galiana zu bauen. Noch jetzt zieht sie ihn hierher, während die Geschäfte des Krieges und des Reiches auf ihn warten.
    Ein Geschäft freilich hatte er übernommen, dessen er sich nun hier entledigen konnte: er mußte Jehuda die Botschaft des Knaben bestellen. Er verfältete das Gesicht in scharfem Nachdenken, was denn nun der sterbende Alazar gesagt hatte. Ganz deutlich hörte er: »Sag meinem Vater –«, aber was er ihm sagen sollte, fiel ihm und fiel ihm nicht ein.
    Er erschlaffte. Dunst war um ihn, alles verschwamm, nichts war greifbar. Auf einmal aber war Raquel da. Aus dem Dunst heraus trat sie, ungeheuer leibhaft mit dem blaßbräunlichen Gesicht und den taubenfarbenen Augen, und war da. So hatte sie ihn angeschaut, in aller Stummheit überaus beredt, als sie sich ihm versagte und er sich auf sie stürzte, und so, als er sie anschrie, sie habe ihm sein Kind gestohlen, und ihr Schweigen war lauter gewesen als jede Anklage.
    Mit geschlossenen Augen lag er. Er wußte, es war ein Espejismo, ein Luftbild, ein Fieberbild, er wußte, Raquel war tot. Aber die tote Raquel war heißer lebendig als jemals die lebende. Und während sie ihn unverwandt ansah, begriff er: in seinem Innern hatte er ihre stumme Beredsamkeit immer verstanden, er hatte sich nur verhärtet, er hatte sich zugesperrt und ihre Mahnung und Wahrheit nicht verstehen wollen.
    Jetzt öffnete er sich ihrer Wahrheit. Jetzt begriff er, was ihm Raquel eh und je und vergeblich hatte klarmachen wollen: was Verantwortung hieß, was Schuld hieß. Er hatte ungeheure Macht in Händen gehabt und sie mißbraucht; er hatte ruchlos, gedankenlos damit gespielt wie ein Knabe. Er hatte seinen Wein zu Essig gemacht.
    Raquels Bild wurde undeutlich. »Geh nicht, geh noch nicht!« bat er, aber hier war nichts, was er hätte halten können. Das Bild verwehte.
    Er war erschöpft und plötzlich sehr hungrig. Mühsam erhob er sich, ging ins Haus. Befahl, daß man ihm zu essen bringe. An dem Tisch, an dem er oft mit Raquel gefrühstückt hatte, saß er und aß. Mechanisch, gierig, wölfisch. Dachte an nichts als an Sättigung.
    Kraft kehrte ihm zurück. Er stand auf. Er fragte nach der Amme Sa’ad; er wollte sich gewisse Bleibsel Raquels zeigen lassen. Man drückte herum, sagte ihm schließlich, daß Sa’ad tot war. Er schluckte. Wollte mehr wissen. »Sie hat furchtbar geschrien«, erzählte Belardo. »Aber Unsere Herrin Doña Raquel hat keine Furcht gehabt. Sie ist dagestanden wie eine richtige große Dame.«
    Alfonso ging durchs Haus. Stand vor jener Inschrift, deren altarabische Lettern er nicht lesen konnte und die sie ihm übersetzt hatte: »Eine Unze Frieden ist mehr wert als eine Tonne Sieg.« Ging weiter. Öffnete Schränke, Truhen. Betastete Kleider Raquels. Dieses helle Kleid hatte sie angehabt damals, als sie mit ihm Schach spielte, und dieses ganz zarte Zeugs, das ihm beinahe in den Fingern zerriß, hatte sie getragen, als die Hunde an ihr hinaufsprangen. Aus der Truhe kam der Duft der Kleider, Raquels Duft. Er warf den Deckel zu. Er war nicht Lanzelot.
    Er fand jene Briefe, an ihn gerichtet und nie abgesandt. »Du setzest dein Leben ein für törichte Dinge, weil ein Ritter so tun soll, und das ist sinnlos und hinreißend, und darum liebe ich dich.« Er fand Zeichnungen, die Benjamín gemacht hatte. Er betrachtete sie

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