Die Juedin von Toledo
Kopfe ist er so.« Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich glaube nun einmal, daß es besser um die Welt stünde, wenn sie von Weisen geführt würde statt von Kriegern.«
Der Domherr bat ihn, die Zeichnung dazulassen, und lange noch, nachdem Benjamín gegangen war, grübelte er über dem Blatt.
Seine Freundschaft mit Benjamín wurde immer enger. So vertraut mit ihm wurde er, daß er ihn in den eigenen Kleinmut hineinschauen ließ. »Jung an Jahren, wie du bist«, sagte er, »hast du gleichwohl zur Genüge erfahren, wie Dummheit und wüste Wut immer von neuem wegspült, was die Erkenntnis und die Arbeit von Jahrhunderten aufgerichtet haben. Trotzdem läßt du nicht ab, zu grübeln, zu forschen, dich zu plagen. Scheint es dir noch der Mühe wert? Und wem nützt deine Mühe?«
Auf dem Gesicht Benjamíns leuchtete jene fröhliche Verschmitztheit auf, die es früher so jung und liebenswert gemacht hatte. »Du willst mich prüfen, mein hochwürdiger Vater«, antwortete er, »aber du weißt meine Antwort voraus. Gewiß, die Finsternis ist das Übliche und das Licht die Ausnahme. Doch gerade in der ungeheuern Masse Unlicht ist dasbißchen Licht doppelte Freude. Ich bin nicht viel, aber ich wäre gar nichts, wenn ich diese Freude nicht spüren könnte. Ich habe die Zuversicht, daß das Licht bleiben und daß es sich mehren wird. Und meine Schuldigkeit ist, daß ich mein Winziges dazu beitrage.«
Den Domherrn beschämte die Zuversicht Benjamíns. Er holte seine Chronik heraus, zwang sich zur Sammlung, versuchte, zu arbeiten. Allein sogleich wieder wurde er inne, wie nichtig seine Bemühung war. Er hatte schaubar machen wollen das Walten der Vorsehung, er hatte tapfer und naiv das Sinnlose dargestellt, als ob Sinn darin wäre. Aber er hatte die Geschehnisse nur zerdacht und zerredet: erklärt hatte er sie nicht.
Wie beneidete er den Musa. Der hatte leicht arbeiten an seiner Chronik. Er hatte einen Leitsatz gefunden, die Ereignisse daran zu messen, den Satz vom Werden und Vergehen der Völker, von ihrer Jugend und ihrem Altern, und sein Allah und sein Prophet bestätigten ihn. In seinem Koran konnte er lesen: »Und ein jedes Volk hat seine Zeit, und wenn diese Zeit kommt, kann keiner sie keine Stunde verschieben noch beschleunigen.«
Ihm, Rodrigue, war es nicht geglückt, Sinn und Ordnung in den Ereignissen zu finden. Ihm wollte scheinen, als ob der rechte Glaube es verbiete, auch nur danach zu suchen. Hatte nicht Paulus den Korinthern geschrieben: »Die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind – Quod stultum est Dei, sapentius est hominibus«? Und hatte nicht Tertullian gelehrt, das größte Ereignis in der Geschichte, das Sterben des Gottessohnes, sei glaubwürdig, weil es ungereimt sei? Wenn nun aber die Wege Gottes nicht die der Menschen waren, wenn sie, mit Menschenaugen gesehen und mit Menschenverstand gemessen, närrisch erschienen, war dann nicht schon das bloße Bestreben sündhaft, mit Menschenworten das Walten der Vorsehung darzustellen?
Seit hundert Jahren kämpfte die Christenheit um das Heilige Land, tausend mal tausend Ritter waren umgekommen in diesen Kreuzzügen: gewonnen war so gut wie nichts. Wasdurch so viel blutiges Sterben erreicht war, das hätten drei vernünftige Gesandte durch die sachlichen Verhandlungen einer einzigen Woche erreichen können. Vor solchem Geschehen versagte freilich alle menschliche Weisheit und nahm jener Satz des Paulus, die Narrheit Gottes, to moron tu theu, τὅ μωϱὅν τοῦ ϑεοῦ , sei weiser als die Menschen, seine ganze höhnische Bedeutung an.
Gebeugt über seine Chronik, leise, böse, sagte Rodrigue vor sich hin: »Es ist alles eitel. Es ist kein Sinn in dem, was geschieht. Es gibt keine Vorsehung.«
Er erschrak vor seinen eigenen Worten. »Absit, absit! Fort damit! Das sei ferne von mir!« befahl er sich.
Aber wenn sein Zweifel an der Vorsehung Ketzerei war, so nicht die Erkenntnis von der Vergeblichkeit der eigenen Bemühung. Da war er am Pult gestanden und hatte gekritzelt und geschmiert den Tag hindurch, auch viele Nächte hindurch, und hatte den Finger Gottes aufzeigen wollen in Ereignissen, deren Sinn nun einmal unergründlich blieb. Da hatte er sich vermessen, die großen Toten der Halbinsel neu zu beleben: den heiligen Ildefonso und den heiligen Julian, die Könige der Goten und die Kalifen der Moslems und die asturischen und kastilischen Grafen und den Kaiser Alfonso und den Cid Compeador. Er hatte sich eingebildet, er sei ein
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