Die Juedin von Toledo
aufmerksam, er fand Züge, die er ander lebendigen Raquel nie entdeckt hatte. Aber trotzdem: dieser Benjamín hat nur einen Teil von Raquel gesehen, die wahre Raquel hat nur er gesehen, Alfonso, und erst jetzt, da sie nicht mehr auf der Erde war.
Aber in der Welt war sie. In ihm lebte weiter das erfüllte Wissen, das ihm vorhin jenes stumme Antlitz mitgeteilt hatte. Die Mahnungen Rodrigues hatten ihm nur gesagt, was Schuld und Reue sei, sie hatten es ihn nicht spüren machen. Auch seine innere Stimme hatte es ihn nicht spüren machen. Erst jenes stumme Gesicht hatte ihm ins Herz geprägt, was das ist: Verantwortung, Schuld, Reue.
Er raffte sich zusammen. Betete. Ein lästerliches Gebet. Betete zu der Toten, sie möge ihm erscheinen in Stunden der Entscheidung, auf daß ihre Stummheit ihm sage, was er tun und was er lassen müsse.
Gutierre de Castro stand vor dem König mit gespreizten Beinen, die Hand auf dem Knauf des Schwertes, in Haltung.
»Was willst du, Herr König?« fragte er mit seiner etwas quäkenden Stimme. Alfonso schaute dem Mann in das breite, derbe Gesicht. Der Castro schaute ruhig zurück; Furcht hatte er nicht, soviel war gewiß. Dem König war alle Wut verflogen, er wußte nicht mehr, warum er sich mit so grimmiger Wollust danach gesehnt hatte, den Mann hängen zu sehen. Er sagte: »Du hattest Auftrag, das Volk meiner Stadt Toledo zu schützen. Warum hast du es nicht getan?« Der Castro, frech und kalt, erwiderte: »Die Leute waren gereizt durch deine Niederlage, Don Alfonso, sie waren streitlustig, mordlustig. Sie wollten die Schuldigen erschlagen, und sie hielten sehr viele für schuldig. Aber es sind nur wenige umgekommen, keine hundert. Ich konnte der Frau Königin den Handschuh guten Mutes zurückgeben, gewärtig ihrer Zufriedenheit und ihres Dankes.«
Don Alfonso sagte: »Du bist in die Galiana gezogen an der Spitze eines Haufens von Gesindel und hast meinen Escrivano erschlagen und die Mutter meines Sohnes.« Er sprachhart und bündig, doch sehr ruhig. Der Castro antwortete: »Dein Volk verlangte Bestrafung des Verräters. Die Kirche verlangte seine Bestrafung. Mein Amt war, Unschuldige zu schützen. Dieser da war ein Schuldiger.« Der König wartete darauf, daß sich der Castro nun auf jenen dünnen und blutigen Hinweis der Königin berufen und die Verantwortung von sich abschieben werde. Der Castro tat es nicht. Vielmehr fuhr er fort: »Ich sag dir’s offen: ich hätte ihn hingemacht, auch wenn er kein Verräter gewesen wäre. Ich bin Gutierre de Castro und habe seit Jahren mir selber und der Ritterschaft Hispaniens versprochen, den beschnittenen Hund zu züchtigen, der mein Castillo besudelt hat.« Der König sagte: »Der Streit zwischen dir und der Krone Kastiliens war bereinigt, die Buße für deinen Bruder bezahlt. Der Vertrag war unterzeichnet und besiegelt, dein Anspruch beglichen.« Der Castro sagte: »Ich will nicht rechten mit dir, Herr König von Kastilien. Wenn du glaubst, eine gute Klage wider mich zu haben, dann klage bei meinem Lehnsherrn, dem König von Aragon, daß er, der nicht mehr ist als ich, das Gericht der mir Gleichen einberufe. Eines aber laß mich dir sagen, als Ritter dem Ritter. Durch dich ist mein Bruder umgekommen, der ein großer Held war im Krieg und im Tournier, du weißt es, und du hast mir eine Buße Geldes bezahlt, und ich war es zufrieden, weil Heiliger Krieg ist. Jetzt hat es sich gefügt, daß ich einen Menschen erschlug, der mir Schimpf angetan hatte und nichts war als dein Bänker und ein alter Jude. Ich glaube, du fährst nicht schlecht, wenn du die Rechnung abschließt.«
Der König ging darauf nicht ein. Er forderte ihn auf: »Sag mir, wie es hergegangen ist.« Der Castro antwortete: »Ich habe mein Schwert nicht mit dem schlechten Blut besudeln wollen. Ich habe den Menschen mit der Scheide totgeschlagen.« Alfonso, mit Mühe, er mußte Pausen machen zwischen den einzelnen Worten, fragte: »Und wie ist sie umgekommen?« – »Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete der Castro. »Mein Aug war auf den Juden gerichtet, als sie sie hinmachten.« Er sprach gleichgültig, seine Rede trug die Farbeder Wahrheit. Und derb, aufrichtig, fast gutartig fuhr er fort: »Es ist Heiliger Krieg, und ich habe den Groll meines Herzens unterdrückt und bin hierhergekommen, um für dich zu kämpfen. Laß es gut sein, Herr König von Kastilien. Es ist harte Arbeit zu tun ringsum. Ein Ritter sollte kein Wort mehr verlieren über den Unrat, der ausgekehrt ist.
Weitere Kostenlose Bücher