Die Juedin von Toledo
zweiter Prophet Ezechiel, auserwählt, diese Toten zu beschwören, daß sie aufstünden: »Ich will euch Adern geben und Fleisch über euch wachsen lassen und euch mit Haut überziehen und euch Odem einhauchen, daß ihr wieder lebendig werdet.« Aber die Gebeine, die er beschwor, hatten sich nicht wieder zusammengefügt. Sie lebten nicht, die Menschen seiner Chronik; was sie vollführten, war ein klappernder Tanz angestrichener Gerippe.
»Du sollst den Blinden nicht irreführen«, mahnte die Schrift. Genau das hatte er getan. Seine Chronik führte die Blinden noch tiefer ins Dunkle.
Ächzend stand er auf. Holte Scheiter zusammen, häufte sie an der Feuerstätte, zündete sie an. Suchte zusammen die zahllosen Blätter seiner Chronik und seiner Aufzeichnungen.Warf sie ins Feuer, schweigend, mit sehr schmalen Lippen. Sah zu, wie sie verbrannten, Blatt um Blatt. Stocherte in den verkohlenden Pergamenten und Papieren, bis sie Asche waren, die niemand mehr lesen konnte.
Bertran de Born, da ihm seine Verwundung die weitere Teilnahme am Krieg verbot, begehrte fort aus Toledo in seine Heimat. Er wollte seine letzten Jahre als Mönch verbringen, im Kloster Dalon.
Aber seine übel zerhaute Hand schwoll, der Arm schwoll. Er konnte nicht daran denken, sich in solchem Zustand durch die Moslems durchzuschlagen, die die Wege weit hinauf nach dem Norden beherrschten.
Die Wunde brannte, tobte. Der König bat, er möge Musa zu Rate ziehen. Der erklärte, es gebe kein anderes Mittel, als den Arm abzunehmen. Bertran wehrte sich. Spaßte: »Im Kampf habt ihr mir die Hand nicht abnehmen können, ihr Moslems. Jetzt wollt ihr’s mit List machen und mit Gelehrsamkeit.« – »Behalte du den Arm, Herr Bertran«, antwortete gelassen Musa. »Aber dann wird in einer Woche von dir nichts mehr dasein als deine Verse.« Lachend, fluchend fügte sich Bertran.
Er lag auf dem Spannbett, festgebunden. In Augenweite, auf einem kleinen Tisch, lag der Handschuh des Auftrags, den ihm Alfonso gegeben hatte, und neben dem Tisch stand der alte Schildknappe und Sänger Papiol. Musa und der Meister Reinero, nachdem sie Bertran einen starken, schmerzbetäubenden Trank gegeben hatten, machten sich mit Eisen und Feuer an ihr Werk. Bertran aber, während sie an ihm herumhantierten, diktierte seinem Papiol ein Gedicht an Alfonso, den »Sirventés vom Handschuh«.
Der alte Musa hatte viel erlebt, aber kaum je ein so greulich großartiges Schauspiel. Da lag der alte Ritter, aufs Spannbett festgebunden, in dem von verbranntem Fleisch stinkenden Raum, und in Ohnmacht fallend, wieder aufwachend, stöhnend vor Schmerz, Schreie unterdrückend, wieder bewußtlos,wieder aufwachend, diktierte er seine Verse, lustige, grimmige. Manche mißlangen, andere glückten. »Sag’s nach, Papiol, du Dummkopf!« befahl Bertran, und: »Hast du’s begriffen? Wirst du dir’s merken? Hast du die Weise?« fragte er. Der alte Papiol sah, wie begierig sein Herr auf die Wirkung seiner Verse wartete, er bemühte sich, fröhliche, stürmische Anerkennung zu zeigen. Er wiederholte voll Anerkennung die Verse, lachte krampfhaft, konnte nicht aufhören, bis unvermittelt sein Lachen in Geheul und Geschluchze überging.
Alfonso, den Tag darauf, besuchte Bertran. Fragte nach seinem Befinden. Bertran wollte leicht abwinken, aber die Hand war nicht da. »Nun ja«, sagte er, und er berichtete: »Der Arzt glaubt, in zwei Wochen werde ich so weit sein, daß ich verreiten kann. Dann laß ich dich also allein, Herr König, und geh in mein Kloster Dalon. Mein wackerer Papiol ist den Strapazen des Krieges nicht mehr gewachsen. Er besteht darauf, daß wir uns zu Gott zurückziehen.«
Alfonso hatte viel Ruhm und Preis übrig für den »Sirventés vom Handschuh« und versprach eine hohe Schenkung für das Kloster Dalon. »Eine Liebe mußt du mir tun«, bat er. »Sing du mir selber den Sirventés.«
Und Bertran sang:
»Den Handschuh geb ich dir zurück
Nach stolz erfüllter Pflicht.
Wohl stritt ich diesmal ohne Glück.
Doch grämt’s mich nicht
Und macht mich nicht geschämig.
Daß mir die Hand verlorenging
Im Streit für dich, acht ich gering.
Du bist ein großer König.
Drum acht auch du es wenig,
Daß, Herr Alfonso, dieses Mal
Die Überzahl
Den Tag dir stahl.
Ein andrer Tag, ein andres Glück.
Mir fiel die Hand,
Dir fiel ein Stück
Von deinem Land.
Du holst’s zurück.
Mir ist es um die Hand nicht leid,
Sie kam mir ab in gutem Streit,
Ich mag um sie nicht klagen.
Sie hat, da
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