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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Frau, der Geliebten Heinrichs, nur das eigene Leben zerstört hatte, so war auch sie von der toten Jüdin für immer besiegt. Eisig wehte sie die Angst an, sie werde nun ihr ganzes Leben unfruchtbar und einsam verbringen müssen. Vor ihr dehnte sich die graue Ödnis, von welcher die Mutter gesprochen hatte, die herzzerreibende Acedia, die lange, leere Zeit.
    Sie weigerte sich, die grausame Gewißheit anzunehmen. Sie sah den Mann, sie liebte ihn, sie hatte nichts, nur den Mann. Sie mußte sich ihn erhalten. Sie sagte bittend, mit verzweifelter Demut: »Ich erniedrige mich, wie sich noch nie eine Frau meines Geschlechtes erniedrigt hat. Laß mich in Toledo bleiben, Alfonso! Wir wollen nicht mehr von dem Castro reden, aber laß mich bei dir bleiben! Laß uns zusammenbleiben in dieser Not!«
    Alfonso erwiderte, und ein jedes Wort fiel klar und kalt von seinen Lippen: »Es hätte keinen Zweck, Leonor. Ich sag es dir, wie es ist: du hast mein Herz verdorren machen, als du sie erschlugst.«
    Ein alter, trüber, lateinischer Vers klang in Leonor auf, eine Dichterin aus Graecia hatte ihn gedichtet. »Der Mond ist aufgegangen, auch das Siebengestirn, die Mitternacht ist da, die Stunde verrinnt, ich aber schlafe allein.«
    Sie riß sich zusammen. Sie stand sehr aufrecht und sprach: »Du sagst mir das, und es macht mich zu Stein. Und trotzdem: ich habe recht getan, und ich hab es deinethalb getan, und ich täte es nochmals.«
    Andern Tages fuhr sie nach Burgos.

Siebtes Kapitel
    Als Musa hörte, daß der Domherr die Chronik verbrannt hatte, machte er dem Freund milde Vorwürfe. Er stellte ihm vor, die von den Chronisten aufgezeichnete Weltgeschichte sei das Gedächtnis der Menschheit. Die großen Alten hätten eine Göttin der Geschichtsschreibung verehrt, und Juden, Christen, Moslems nähmen zu Recht an, Gott habe Wohlgefallen an dem Werk der Chronisten.
    »Mein Werk war Gott nicht wohlgefällig«, antwortete grimmig der Domherr. »Mir ist die Gabe versagt, den Finger Gottes in den Geschehnissen wahrzunehmen. Ich habe dieEreignisse nicht verstanden; alles, was ich aufzeichnete, war falsch. Ich durfte mein Werk nicht fortsetzen, ich durfte es nicht bestehen lassen. Selber blind, durfte ich die Blinden nicht irreführen. Du hast es leicht, mein Musa«, fuhr er trüb und bitter fort. »Du hast deine Richtlinien, du hast noch nicht eingesehen, daß sie falsch sind, du darfst ruhig weiterschreiben.« Musa versuchte, ihn zu trösten: »Auch du wirst neue Prinzipien finden, mein sehr würdiger und verehrter Freund, welche dir auf einige Jahre richtig scheinen.«
    Der alte Gelehrte war jetzt den ganzen Tag unterwegs. Hunger und Seuche herrschten in der belagerten Stadt, immer mehr Kranke verlangten nach seiner Kunst und seiner Kur.
    Er selber freilich war sich der Grenzen seiner Kunst bewußt. Die moslemische Heilkunde, setzte er dem Domherrn auseinander, habe seit langer Zeit nichts zugelernt. Seitdem der unduldsame Alghazali alles Wissen, das nicht aus dem Koran stamme, für Ketzerei erklärt habe, sei auch die ärztliche Wissenschaft der Moslems im Abstieg, und die Führung in der Medizin sei nun endgültig auf die Juden übergegangen. »Der Sultan hat recht«, erklärte er, »daß er sich den Juden Mose Ben Maimon als Leibarzt verschrieb. Wir Moslems haben niemand, der sich ihm vergleichen könnte. Unsere Kultur hat eben ihre Blüte hinter sich. Im übrigen«, schloß er, »sind aller ärztlichen Kunst von der Natur Grenzen gesetzt, und viel vermag auch der beste Meister nicht. Es ist, wie Hippokrates gelehrt hat: die Medizin tröstet häufig, lindert manchmal, heilt selten.«
    Dem Erzbischof Don Martín jedenfalls vermochte kein Arzt zu helfen; seine Verwundung war tödlich. Alle wußten es, er selber wußte es. Doch inmitten des großen Sterbens ringsum hielt er zäh am Leben fest. Versuchte weiterzuarbeiten. Verlangte, daß Don Rodrigue ihn täglich besuche, um ihn über die Geschäfte zu unterrichten.
    Es geschah jedoch aus einem tiefern Grund, daß der Erzbischof die Gesellschaft Don Rodrigues so dringlich begehrte. Er wollte sich in der Zeit, die ihm noch vergönnt war,zur Buße seiner Sünden recht oft und heiß über seinen allzu milden Sekretär ärgern. Da lag er, roch an einer Zitrone, stöhnte und forderte den andern heraus. Gab etwa seiner Genugtuung Ausdruck über das verdiente böse Ende des Juden Ibn Esra und seiner Tochter. Wie er’s erwartete, verwies ihm der Domherr die unchristliche Freude, und er seinesteils

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