Die Juedin von Toledo
konnte, daran anknüpfend, dem Rodrigue vorhalten, daß dessen übergroße Barmherzigkeit schlecht angebracht sei im Heiligen Krieg.
Ein andermal wieder sprach er vor sich hin jenen wilden Satz aus dem Kriegslied des Mose: »Dominus vir pugnator – Der Herr ist ein rechter Kriegsmann«, und bat mit freundlicher Tücke: »Sag mir doch den hebräischen Text, mein lieber und gelehrter Bruder.« Und da der andere diesen Text nicht auswendig wußte, tadelte er ihn sanft: »Solche Verse, mein mildherziger Freund, sind dir natürlich nicht gegenwärtig. Aber ist er nicht herrlich, der Vers, auch auf lateinisch?« Und: »Dominus vir pugnator«, sagte er vor sich hin, mehrmals, genießerisch, wartend auf eine Entgegnung des Domherrn. Der aber hatte nicht das Herz, dem todnahen, streitbaren Freund Friedensverse der Schrift entgegenzuhalten. Er schwieg.
Don Martíns schwerste Sorge war, wen ihm wohl der König zum Nachfolger geben werde. Der Erzbischof von Toledo nämlich, der Primas von Hispanien, war nächst dem König der mächtigste Mann in Kastilien; seine Einkünfte waren größer als die des Königs, sein Einfluß ungemessen. Ständig also setzte Don Martín dem König zu, den rechten Mann zu wählen. »Höre auf die Worte eines Sterbenden, mein Sohn«, beschwor er ihn. »Unser lieber Don Rodrigue ist weise und fromm, fast ein Heiliger, und du kannst keinen bessern Ratgeber finden in deinen Geschäften mit Gott. Aber für die Geschäfte dieser Welt, für die Geschäfte des Krieges, ist er nicht der rechte Mann, und als Erzbischof von Toledo würde er dir für dein Heer kein Geld geben oder doch zuwenig. Setze du mir also, mein lieber Sohn und König, ich bitte dich, auf den Stuhl des heiligen Ildefonso keinen Waschlappen,sondern einen rechten christlichen Ritter, wie ich selber einer war in aller Bescheidenheit und mit all meinen Fehlern.«
Noch am gleichen Tage bereute Don Martín, daß er dem Domherrn in den Rücken gefallen war. Er schickte nach ihm. Bekannte. Klagte: »Oh, warum hat mich Gott zum Priester gemacht und nicht zum Feldhauptmann!« Don Rodrigue hatte Mühe, ihn zu trösten.
Eine grimmige, unverhoffte Freude wurde dem Sterbenden noch zuteil. Auf mancherlei Umwegen, behindert durch die überall streifenden Moslems, traf, um viele Wochen verspätet, ein Bote ein mit einem Schreiben des Papstes. Der Heilige Vater erteilte dem König schärfsten Befehl, endlich seinen jüdischen Escrivano, den unheilvollen Ibn Esra, zu entlassen. Wie solle Don Alfonso seinen Heiligen Krieg zum guten Ende führen, wenn er einen Ungläubigen zum wichtigsten Ratgeber habe? »Da siehst du es, mein lieber, würdiger Bruder«, frohlockte Don Martín vor dem Domherrn. »Unsere fromm und tapfern Kastilier haben im Sinn des Statthalters Christi gehandelt, als sie den Juden züchtigten. War also mein Herz wirklich böse, daß es sich daran weidete?«
Die frohe Erregung zehrte die letzte Kraft des Erzbischofs auf. Es begann sein Todeskampf, er war lang und hart. Im Geiste war Don Martín in der Schlacht, er versuchte zu schreien: A lor, a lor! Er röchelte, er stritt und litt.
Musa meinte, das Menschlichste wäre, dem Sterbenden einen starken Betäubungstrank zu geben. »Das Leben zu verkürzen ist nicht menschlich«, wies ihn der Domherr zurück, und der Erzbischof hatte noch zwei Stunden zu leiden, ehe er starb.
In der Gegend von Tripolis waren neue Aufstände ausgebrochen, und der Kalif, um dort, an seiner afrikanischen Ostgrenze, Ordnung zu schaffen, mußte Truppen aus Hispanien abziehen. Er verzichtete auf seine Eroberungen im Norden der Halbinsel. Er zog sich mitten im Siege zurück.
Tief aufatmete Don Alfonso. Wurde von einem Tag zumandern zu dem Ritter und König, der er vorher gewesen war. Vor dem Domherrn ließ er seinem Jubel freien Lauf. Jetzt wird er die Schande von Alarcos austilgen. Wird, was er noch an Truppen hat, zusammenraffen. Wird den Feind zurückwerfen. Wird tief in den Süden vorstoßen, Córdova nehmen, und, trotz allem, Sevilla!
Der Domherr erschrak. Ihm schien, was er da hören mußte, verbrecherischer Wahnsinn. Seitdem er den König bei der Nachricht von Raquels Ermordung hatte zusammenbrechen sehen, hatte Rodrigue in all seiner Verzweiflung die leise Hoffnung gehegt, Alfonso werde sich nach so harten Schlägen das wilde Rittertum aus der Brust reißen. Ja, es war dem Domherrn eine solche Erlösung des Königs zur eigenen Sache geworden. Wenn sich Alfonso infolge seiner Strafe wandelte, dann war
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