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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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lässest? Warum duldest du, daß Edom von neuem frevelt und frohlockt? Die Heiden brachen in deinen Tempel, und du schweigst! Esau verhöhnt deine Kinder, und du bleibst stumm! Zeige dich, steh auf, laß deine Stimme erschallen, du Stummster unter den Stummen!« Wenn Rabbi Tobia solche Verse las, konnte auch er sein Herz nicht verhindern, sich zu empören. Doch sogleich bereute er. »Darf der Lehm dem Töpfer sagen: Was tust du?« beschimpfte er sich, und seine Zerknirschung wurde noch fanatischer.
    Die Gläubigen sahen in ihm einen Propheten. Auch wurde ihm, wenn er sich in der Einsamkeit seines Zimmers in das Große Buch versenkte, zuweilen wunderbare Schau zuteil und die Gabe, seine Gesichte in Worten zu formen. Daschaute er dann wohl die Frommen, die Bekenner, sitzen, im Garten Eden, bestrahlt vom Lichte Gottes, und er sah die Frevler brennen in den Öfen des Gehinnom, der Hölle, und er befragte sie, und die im Fünften, grauenvollsten Ringe antworteten: »So geschieht uns, weil wir im irdischen Leben Adonai verleugnet und den Gehenkten angebetet haben«, und sie erzählten ihm, sie müßten nun zwölf Monate brennen, bis ihre Seele vernichtet sei wie ihr Leib; dann werde die Hölle ihre Asche ausspeien und der Wind sie unter die Fußsohlen der Gerechten wehen. Und er sah sich des Mitternachts in der Synagoge, und da waren versammelt die Toten der letzten sieben Jahre; unter ihnen aber waren, schattenhaft, auch diejenigen, die im Laufe des nächsten Jahres sterben sollten. Und während er geschlossenen Auges über den heiligen Büchern saß, ging er umher in den Straßen der Stadt Paris und in den Straßen der Stadt Toledo, und er sah Menschen, die er kannte, und er sah, daß sie keinen Schatten warfen, und er wußte: Ihnen war ein nahes, furchtbares Ende bestimmt. Nicht ohne Genugtuung sah er, daß unter diesen Schattenlosen auch jener Jehuda Ibn Esra war, der Meschummad, der seine Tochter der Buhlerei mit dem heidnischen König hingab.
    Es war mittlerweile neue, schlimme Botschaft der fränkischen Juden eingetroffen. Wie Rabbi Tobia vorhergesehen hatte, folgten manche der großen Grafen und Herren dem Beispiele ihres Königs, plünderten ihre Juden und jagten sie dann aus ihren Grenzen. Rabbi Tobia hörte und las, und er machte sich auf und stellte sich vor den Párnas Ephraim.
    So fremd und bedenklich diesem Unser Herr und Lehrer Tobia schien, so konnte er sich doch der Magie nicht entziehen, die von dem grauen, blassen, von innen her glühenden Wesen des Mannes ausging, und als nun dieser wider seine Gewohnheit ihn aufsuchte, wartete er furchtsam und gleichwohl gierig auf das, was er ihm zu sagen hatte.
    Es erklärte ihm aber Rabbi Tobia in seiner stillen Art, er wolle Toledo verlassen und zu seinen Juden zurückkehren.Die Bedrohung mehre sich, und er glaube nicht, daß den Bedrohten von Toledo aus geholfen werde. Die Flüchtlinge könnten auf fränkischem Gebiete nicht mehr lange bleiben, und da ihnen die sephardische Grenze versperrt sei, wolle er sie nach Deutschland führen, von wo ihre Väter gekommen seien.
    Mannigfaltige, widerspruchsvolle Gedanken und Gefühle waren in Ephraim. Der Hilferufenden wurden immer mehr, und es war ein Segen für die Aljama, wenn sie frei blieb von diesen Gästen, deren Gefährlichkeit mit ihrer Zahl wuchs. Aber es war eine nebeldunkle Zukunft, die in Deutschland auf die Flüchtlinge wartete. Kaiser Friedrich würde ihnen wohl Einlaß gewähren; aber nirgendwo waren bisher die Juden grausamer verfolgt worden als in deutschen Landen, und der Kaiser war nach dem Osten gezogen, und genügte sein Name, sie zu schützen? Das alles wußte Rabbi Tobia so gut wie er. Aber der wilde Glaubenseifer des Rabbi ersehnte wohl eher, als daß er sie scheute, Qualen und Prüfungen für seine Brüder. Mußte er dem Rabbi nicht abraten?
    Da er dieses schweigend bedachte, fuhr Tobia fort: »Ich sag es dir offen, es ist mir lieb, daß der Mann Jehuda Ibn Esra uns die Hilfe nicht bringt, die er versprach. Es hat mich bedrückt, daß uns Hilfe kommen sollte von einem Meschummad, der die Scham seiner Tochter dem Götzendiener preisgibt. Ich will sein Geld und seine Hilfe nicht. ›Du sollst den Lohn einer Hure nicht in das Haus Gottes bringen‹, steht geschrieben.«
    Die stille, gleichmäßige Art, wie Rabbi Tobia sprach, machte den Haß und die Verachtung seiner Worte nur lauter. Don Ephraim fühlte nicht ohne Genugtuung den eigenen Widerwillen vor Jehuda bestätigt durch die Empfindungen des

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