Die Juedin von Toledo
Safia war noch nicht siebzehn Jahre alt und so schön, daß Mohammed sie in seinen Harem aufnahm, wiewohl bereits ein Mann sie erkannt hatte. Er liebte sie sehr, er beugte das Knie, damit sie leichter das Kamel besteigen könne, er überhäufte sie mit Schätzen, er wurde ihrer nicht satt bis zu seinem Tode; sie überlebte ihn aber um fünfundvierzig Jahre.
So erzählte Musa. »Sind also diese Frauen von Adonai abgefallen?« fragte Raquel. »Wenn die Lehre Mohammeds das Mädchen Zainab begeistert hätte«, antwortete Musa, »dürfte sie kaum versucht haben, ihn zu vergiften. Und was Safia anlangt, so hinterließ sie ihren Reichtum Verwandten, die Juden geblieben waren.«
Später fragte Raquel: »Du sprichst oft ohne Ehrfurcht von dem Propheten. Warum bleibst du im Islam, Onkel Musa?« – »Ich bin ein Gläubiger der drei Religionen«, antwortete Musa. »Eine jede hat ihr Gutes, und eine jede lehrt Dinge, welche zu glauben die Vernunft sich sträubt.« Er war an sein Schreibpult getreten, er kritzelte Kreise und Arabesken, und er sagte über die Schulter: »Solange ich überzeugt bin, daßder Glaube meines Volkes nicht schlechter ist als der eines andern, ekelte es mir vor mir selber, wenn ich die Gemeinschaft verließe, in die ich hineingeboren bin.« Er sprach ruhig mit gleichmäßiger Stimme, und seine Worte senkten sich tief in Raquel ein.
Als Musa allein war, wollte er an seiner »Geschichte der Moslems« arbeiten. Aber er bedachte, was er Raquel gesagt hatte, er wunderte sich über die starken Worte, die er gebraucht hatte, er konnte seine Gedanken nicht auf sein Werk richten.
Statt dessen schrieb er Verse: »So voll ist die Zeit von Waffen und Rittern und Eisen und Getöse, daß selbst die Worte des Weisen klirren, statt still zu sein wie das Rauschen des abendlichen Windes in den Wipfeln der Bäume.«
Don Rodrigue sprach nicht gern von der Gnade, die ihm zuteil geworden war, von seinen Verzückungen, den Früchten seiner Askese. Lieber gab er sich als Forscher, als Gelehrter. Er war aufrichtig. Denn in all seiner Frommheit war er besessen von der Lust an scharfem, zweiflerischem Denken. Ihn ergötzten die wunderbaren Spiele des Verstandes, und es schuf ihm hohes Vergnügen, in der Diskussion mit sich selber und mit anderen das Für und Wider einer These abzuwägen. Unter den Gottesgelehrten seines Jahrhunderts liebte er am meisten den Abaelard. Dessen Lehre, daß von der Philosophie der großen Heiden ein kürzerer Weg zum Evangelium führe als vom Alten Testament, ließ ihn nicht los, und immer von neuem vertiefte er sich in des Abaelard kühnes Werk: Sic et Non, Ja und Nein, worin aus der Heiligen Schrift Sätze, die sich widersprechen, einander gegenübergestellt waren; dem Leser aber blieb es überlassen, mit den Widersprüchen fertig zu werden.
Don Rodrigue wußte, er durfte sich bis an die fernsten Grenzen dieses gefährlichen Gebietes wagen. Gab es doch in seiner Seele jenen Raum, wohin kein Zweifel des vorwitzigen Verstandes drang; dort fand er Schutz vor allen Anfechtungen.
Diese stille, unzerstörbare Sicherheit im Glauben erlaubte ihm auch, nach wie vor ins Castillo Ibn Esra zu gehen und mit dem Ketzer Musa freundschaftliches Streitgespräch zu pflegen.
Musa seinesteils wußte, mit dem Domherrn konnte er Verfängliches ohne Rückhalt bereden, und er trug keine Scheu, sich vor ihm auch über Geschehnisse auszulassen wie etwa den Liebeshandel des Königs. »Unser Freund Jehuda«, meinte er, »hatte gehofft, Raquels Zucht und sanfte Sitte werde das ungestüme Soldatentum Don Alfonsos bändigen. Statt dessen ist sie sichtlich bezaubert von seinem kriegerhaften Wesen. Ich fürchte, eher wird das Leben in der Galiana unsere Raquel zum Geist des Rittertums bekehren als den König zur Botschaft des Friedens.«
»Du kannst schwerlich verlangen«, antwortete Rodrigue, »daß Don Alfonso in währendem Kreuzzug für Friedensgesänge ein offenes Ohr hat.« Musa hockte behaglich, etwas vornübergeneigt, in einer Ecke und meditierte: »Eure Kreuzzüge! Es will mir nicht in den Kopf, daß ihr euern Heiland Fürsten des Friedens nennt und fromm und gläubig in seinem Namen zum Kriege aufruft.« – »Habt nicht ihr den Heiligen Krieg in die Welt gebracht, mein lieber und verehrter Musa?« erkundigte sich milde der Domherr. »War es nicht Mohammed, der die Lehre von Dschihád verkündigte? Unser Bellum Sacrum ist nur Verteidigung gegen euern Dschihád.« – »Aber der Prophet«, meinte nachdenklich Musa,
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