Die Juedin von Toledo
Belagerungsmaschinen. Deren Erfolge haben keinen Bestand. Unser Erbteilist das Große Buch. Wir haben uns durch zweitausend Jahre mit ihm befaßt, es hat uns zusammengehalten im Elend und in der Zerstreuung ebenso wie in unserm Glanz, wir allein verstehen es richtig zu deuten. Was es uns verheißt, sind Siege des Geistes, und diese Siege raubt uns kein Kreuzzug und kein Dschihád.«
»Ja«, sagte spöttisch und betrübt Don Rodrigue, »eritis sicut dii, scientes bonum et malum; noch immer glaubt ihr das Wort der Paradiesesschlange. Und weil ihr, ich geb es zu, vor andern mit Verstande gesegnet seid, haltet ihr euch für allwissend. Aber gerade dieser Dünkel macht euch blind und hindert euch, das Handgreifliche zu begreifen. Der Messias ist längst gekommen, die Zeit ist erfüllt, die Segnungen sind da. Alle sehen es, nur ihr wollt es nicht sehen.«
»Ist sie da, die Zeit des Messias?« antwortete bitter Don Benjamín. »Ich sehe nichts davon. Ich sehe nicht, daß ihr eure Schwerter zu Pflügen umschmiedet und eure Speere zu Winzermessern. Ich sehe nicht, daß Alfonso mit dem Kalifen weidet. Unser Messias wird der Welt in Wahrheit den Frieden bringen. Was wißt denn ihr vom Frieden! Frieden, Schalom: ihr versteht ja nicht einmal das Wort! Ihr könnt ja nicht einmal das Wort übersetzen in eure armen Sprachen!«
»Du trittst sehr kriegerisch für den Frieden ein, mein lieber Don Benjamín«, versuchte Musa ihn zu beruhigen.
Benjamín aber hörte nicht auf ihn. Befeuert von der Nähe Doña Raquels, brach er los: »Was ist denn eure armselige Pax, eure Treuga Dei, eure armselige Eirene! Schalom, das ist die Vollendung, das ist die Glückseligkeit, und alles, was nicht Schalom ist, ist böse. Unserm König David war es nicht vergönnt, den Tempel zu bauen, weil er nichts war als ein Eroberer und großer König. Erst Salomo, der Friedenskönig, durfte ihn bauen, weil unter ihm ein jeder in Sicherheit wohnte unter seinem Weinstock und Feigenbaum. Der Altar, über dem eine Waffe geschwungen wird, ist entweiht, er ist Gottes nicht würdig, das ist unsere Lehre. Ihr aber ehrt euern Messias, indem ihr seine Stadt, Jerusalem, die Stadt des Friedens, berenntund zerstört. Wir sind arm und bloß, aber die Narren seid ihr mit all euerm Glanz und Waffenschmuck. Uns ist das Land verheißen, uns gehört es. Und weil es so geschrieben steht, führt ihr Krieg darum, ihr und die Moslems. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so herzzerreißend wäre.«
Die Heftigkeit des jungen Menschen machte den Domherrn nur milder. »Du sprichst von Glückseligkeit, mein Sohn«, sagte er, »und du nennst sie Schalom, und du sagst, sie sei euer Erbteil. Aber auch wir kennen Glückseligkeit. Wir nennen sie anders, doch ist es nicht gleichgültig, welchen Namen wir ihr geben? Ihr heißt sie Schalom, wir heißen sie Glauben, wir heißen sie Gnade.« Und nun mußte der Schamhafte heraussagen, was er sonst still im Busen hielt, er mußte bekennen. »Die Gnade, mein Sohn«, sagte er, »ist nicht eine Verheißung ferner Zukunft, sie ist in der Welt. Ich bin nicht so beredt wie du, ich kann die Gnade nicht erklären. Sie kann nicht durch Anstrengung der Vernunft erlangt oder auch nur gesichtet werden. Sie ist das höchste Geschenk Gottes. Wir können nichts tun als darum beten.« Und stark und aus dem Herzen heraus schloß er: »Ich weiß, daß es die Gnade gibt. Ich bin selig im Glauben. Und ich bete zu Gott, daß er die Gnade auch andern verleihe.«
Von solchen Gesprächen, welcher Glaube der beste sei, war das ganze Abendland voll. Um diese Streitfrage, um den Vorrang des Christentums, wurde der Krieg geführt. Und Leidenschaft brannte durch die Disputationen.
Auch in der stillen Rundhalle des Musa debattierten der Domherr und Don Benjamín noch mehrere Male um den Glauben. Doch zähmte jetzt Benjamín seine Heftigkeit; er wollte seinen verehrten Lehrer Rodrigue nicht nochmals durch wüsten Angriff kränken. Doña Raquel aber bedurfte sichtlich keiner Stärkung im Glauben; Benjamín hatte bei jenem ersten Ausbruch freudig wahrgenommen, mit welcher Teilnahme sie ihm zuhörte. In diesen späteren Diskussionen begnügte er sich also, auf die innere Vernünftigkeit des Judentums hinzuweisen, dessen Gott von seinen Gläubigenkein Opfer des Verstandes verlange. Mit wissenschaftlicher Gelassenheit zitierte er Sätze aus des Dichters Jehuda Halevi schönem Buche »Zur Verteidigung des Gedemütigten Glaubens«, oder er berief sich auf Beweisgründe aus den
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