Die Juliette Society: Roman (German Edition)
die Welt um sich herum zu sexualisieren.
Das war eine Welt, in der zu leben viel aufregender sein würde, die ihn aus der Maloche seines Behördenschreibtischjobs, aus seinem gewöhnlichen Vorstadtleben holen würde. Sie wäre sogar weitaus aufregender, als sich nach dem Abendessen in der Garage auf Muskelprotz-Magazine einen abzuwedeln.
So fand Kubrick seine Berufung. Als Fetischist.
Eine Sache führte zur anderen, und schon bald besaß Kubrick eine ganze Bibliothek voller bizarrster Wichsvorlagen. Eine Bibliothek, die jedem anderen bloß wie eine exzentrische Sammlung von Büchern vorkommen musste, die man so auch auf dem Flohmarkt finden konnte. Nicht lange darauf war in seiner Garage kein Platz mehr für seine Sammlung, aber sie bedeutete ihm so viel, dass er, anstatt sie auszulagern oder zu reduzieren, lieber sein Auto verkaufte.
Eines Tages kam Kubrick mit einem seiner Kollegen über die Sammlung ins Gespräch, und die beiden merkten, dass sie etwas gemeinsam hatten. Ihnen wurde klar, dass ihr Leben eine Lüge war. Also beschlossen sie, einen Club zu eröffnen, in dem sie ihren wahren Interessen frönen konnten.
Anfangs trafen sie sich nach der Arbeit in einem Raum in den Untiefen ihres Bürogebäudes. Es waren bloß eine Handvoll Leute, und sie saßen lediglich mit einem Bier herum und erzählten sich gegenseitig ihre Fantasien – wie bei einer Gruppentherapie für Sadisten und Perverse. Es lief alles ganz gesittet und zivilisiert ab. Bis Kubrick eines Abends eine besonders schmutzige Sexfantasie erzählte, bei der es um einen Schlauch, einen Sprinkler und einen Haufen Dung ging. Ein Typ, der ihm gegenübersaß und zum ersten Mal dabei war, holte seinen Schwanz raus und fing an, sich vor aller Augen einen runterzuholen. Anstatt die Geschichte zu unterbrechen und ihn darauf hinzuweisen, er möge doch bitte seinen Reißverschluss wieder schließen, fuhr der erstaunte Kubrick einfach mit seiner Schilderung fort. Jetzt hatte er eine neue Herausforderung. Er wollte sehen, ob er diesen Kerl zum Höhepunkt bringen konnte.
Während er fortfuhr, öffneten auch die anderen Kerle im Raum ihre Reißverschlüsse, und schon bald fand sich Kubrick vor die Situation gestellt, ihnen allen allein durch die Kraft seiner Fantasie einen Orgasmus zu verschaffen. Und für ihn war das der größte Kick von allen. Viel besser, als einfach nur über irgendwelchen Katalogen für Reinigungsmittel, Schmuck oder Elektrowerkzeuge abzuwichsen.
Als sie sich das nächste Mal trafen, brachten einige der Typen ihre Sekretärinnen und Praktikanten mit. Während Kubrick in der Mitte des Kreises saß und ihnen Geschichten erzählte, fingen sie an, noch viel mehr zu tun, als bloß voreinander zu wichsen. Kubricks kleiner Treffpunkt mutierte zu einer Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige, in der sie statt zu weniger zu noch mehr Sex animiert wurden. Bald schleppten die Leute Requisiten an und verkleideten sich. Die Szenen, die sie durchspielten, wurden immer ausgeklügelter und komplexer.
Doch irgendwann sprach es sich herum, immer mehr Regierungsangestellte wollten mitmachen und schließlich artete es aus. Es wurde immer schwerer, die Sache geheim zu halten. Etwa zur selben Zeit beschloss Kubrick, dass er es leid war, Bilanzen für die Regierung zu frisieren, damit sie schmutzige Kriege in entlegenen Gebieten der Welt führen, dann alles abstreiten und den Buchhaltern die Schuld in die Schuhe schieben konnte. Also entschied er sich dafür, all seine Energie künftig seiner wahren Leidenschaft zu widmen: anderen Menschen dabei zu helfen, ihre sexuellen Vorlieben zu entdecken und zu mobilisieren.
Ich kann nicht glauben, was ich da höre, also unterbreche ich Anna an dieser Stelle und frage: »Willst du mir damit sagen, dass so die Fuck Factory entstanden ist? Als After-Work-Sexclub im Pentagon?«
»Schätze schon«, antwortet Anna. Danach sagt sie ein paar Sekunden nichts, als wäre sie vollkommen in Gedanken versunken. Dann meint sie: »Weißt du, bei der Regierung arbeiten die seltsamsten Typen.«
Anna erzählt mir, dass Kubrick noch immer ganz gute Kontakte hat. »Du würdest nicht glauben, was für Leute hierherkommen.«
Ich warte darauf, dass sie mir verrät, wer, aber sie sagt nichts, und ich hake nicht nach, weil ich nicht weiß, ob ich es überhaupt wissen will. Es ist nicht bloß die Kombination dieser beiden Behauptungen, die mich verunsichert, sondern alles, was sie mir soeben über die Staatsgewalt offenbart hat und darüber,
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