Die Juliette Society: Roman (German Edition)
dann an zu kichern.
Anna legt mir die Hand auf den Brustkorb. »Catherine ist zum ersten Mal hier.«
»Wirklich?«, fragt Kubrick mit gespielter Überraschung. Dann sieht er mich an und sagt: »Keine Sorge, Süße. Hier unten sind wir alle Freunde.«
Da bin ich mir zwar nicht so sicher, aber Kubrick klingt aufrichtig.
»Schau einfach in dich hinein«, meint er, »und folge deinem Herzen und deinem Körper. Und du wirst finden, wonach du dich sehnst.«
Plötzlich haut Kubrick ganz zenmäßig seine Lebensratschläge raus wie irgendein New-Age-Guru. Er hat die Hände vor dem Körper gefaltet, während er spricht, daher sieht er auch fast so aus wie ein Guru.
»Da steckt kein großes Geheimnis dahinter«, sagt er. »Alles, was man im Leben wissen muss, ist, dass jeder ficken oder gefickt werden will. Das ist alles.«
Nicht gerade Deepak Chopra, aber ich glaube, ich weiß, worauf er hinauswill.
Kubricks Philosophie ist, einfach gesagt, folgende:
Kommt einer, kommen alle.
Fickt einer, ficken alle.
Fick wen und wie auch immer du willst.
Mehr Regeln braucht’s nicht.
»Nur ein Wort der Warnung«, sagt Kubrick, beugt sich zu mir vor und zeigt hinter sich. »Halt dich von dem Zwerg fern.«
Ich schaue über Kubricks Schulter zu dem Kleinwüchsigen hinüber, der mittlerweile auf allen vieren auf dem Käfig hockt und knurrt wie ein Hund. Das Mädchen hat sich in einer Ecke auf einem Haufen Stroh zusammengerollt.
»Warum?«, frage ich. »Er sieht doch ganz harmlos aus.«
»Er ist total rallig«, meint Kubrick. »Und er mag ja nicht viel zu bieten haben, aber das hält ihn nicht davon ab, es trotzdem zu versuchen. Die Sache mit Liliputanern ist die: Sie sind alle Supermachos und machen nie halbe Sachen. Also wollen sie sich entweder selbst geißeln, weil sie so klein sind, oder sie wollen die ganze Welt ficken. Und der da ist ein echter kleiner Sadist.«
Ich schaue wieder rüber, und jetzt hat sich der Zwerg auf einem Arm abgestützt, als wolle er Einarm-Liegestützen machen, hält mit der anderen seinen Schwanz und pisst durch die Gitterstäbe in den Käfig. Das arme Mädchen huscht auf allen vieren hin und her und versucht, dem Strahl auszuweichen, was ihr nicht besonders gut gelingt.
Ich muss ziemlich geschockt dreinschauen, denn Anna sagt zu mir: »Keine Sorge, das gehört für sie zum Kick. Sonst wäre sie nicht da drin.«
»Okay, Kinder«, sagt Kubrick und klatscht in die Hände wie ein Betreuer im Ferienlager. »Ich habe einen Club zu führen und ein paar Leute zu ficken. Viel Spaß.«
Er hüpft vom Barhocker, und wir sehen zu, wie er durch einen der Durchgänge davonwieselt wie das weiße Kaninchen.
Anna wendet sich mir zu. »Du errätst nie, was Kubrick früher gemacht hat.«
»Keine Ahnung«, sage ich.
»Rate mal«, meint sie.
»Lebensberater?«, witzle ich.
»Nein.«
»Fitnesstrainer?«
Anna schüttelt den Kopf.
»Bibliothekar?«
»Nö.«
»Jetzt hab ich’s. Narkosearzt.«
Sie lacht.
»Ich geb’s auf«, sage ich. »Also?«
»Buchhalter.«
Ich versuche, mir Kubrick in einem Dreiteiler vorzustellen, wie er über irgendwelchen Unterlagen brütet. Aber es will mir einfach nicht gelingen.
»Aber nicht bloß irgendein Buchhalter«, sagt sie. Dann beugt sie sich vor und flüstert: »C-I-A.«
Anna zufolge hat Kubrick, als er noch Buchhalter war, ein ganz normales Leben geführt. Ein Haus in einem Vorort, verheiratet, gesundes, regelmäßiges Sexleben, keine Kinder.
Aber Kubrick hatte ein Geheimnis. Er verkroch sich manchmal heimlich in der Garage und holte sich auf Bodybuilding-Zeitschriften einen runter. Es war nicht so, dass er vorgab, hetero zu sein, obwohl er komplett schwul ist, oder dass er das eine mehr war als das andere. Der Sex mit seiner Frau langweilte ihn einfach und er suchte nach einem neuen Kick.
Also fing er an, darüber nachzudenken, wobei ihm sonst noch einer abgehen könnte. Er beschloss, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und zu sehen, wohin ihn das führen würde. Er fing an, Kataloge zu sammeln.
Keine Unterwäsche-Prospekte. Das wäre viel zu offensichtlich gewesen, zu simpel. Es waren Kataloge für Gartenmöbel, Saatgut und Getreide, Zahnarztbedarf, Holz, Metalle und Beton. Er folgte einfach seinen Launen und sammelte alles, was seine Lust anstachelte. Er betrachtete die Fotos und fand heraus, dass er recht begabt darin war, detaillierte sexuelle Fantasien rund um leblose Dinge zu konstruieren. Umso banaler sie waren, desto besser. Kubrick schulte sich darin,
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