Die Juliette Society: Roman (German Edition)
irgendwo am Stadtrand stehen. Es gibt nichts, was auf einen Club hindeutet. Keine Beschilderung. Keine Leute. Keine Anzeichen auf gar nichts. Abgesehen von einer Art Graffito, so primitiv wie altsteinzeitliche Höhlenmalereien oder wie eine Schmiererei an der Wand eines öffentlichen Klos.
Die Comiczeichnung von einem Pimmel mit Eiern, aus dem vier große Spermatränen spritzen.
Weiße Farbe auf einer schmutzig-schwarzen Wand. Darunter in die Luft gereckte, gespreizte Beine wie Teufelshörner, die mich an Annas erinnern, als sie in diesem Clip mit Seilen an die Kloschüssel gefesselt war. Und zwischen den Beinen ein Loch, eine mit groben Strichen gemalte Vagina. Mit Zähnen. Vielen kleinen, spitzen Zähnen. Darunter ein Pfeil, der auf eine steile Steintreppe zeigt, die in den Untergrund führt.
Als wir die Stufen in die Dunkelheit hinuntersteigen, frage ich mich, wie es in der Fuck Factorywohl riechen mag. Vielleicht wie in einer alten Kellerspelunke, feucht und modrig und süßlich von all dem Alkohol, der dort auf engem Raum konsumiert wird. Mit jeder Stufe fühle ich, wie sich um uns herum ein Hauch von Geheimnis und Ausschweifung zusammenbraut.
Unten angekommen stehen wir vor einer unbeschrifteten, schwarzen Tür. Das Tor zur Unterwelt. Anna klopft zwei Mal, wartet kurz und klopft dann weitere drei Mal. Schon öffnet sie sich. Und als sie sich öffnet, sehe ich, dass es dahinter auch nicht viel heller ist als davor. Bloß ein Halbdunkel, so düster, dass die Augen eine Weile brauchen, bis sie sich daran gewöhnt haben. Die schemenhafte, bullige Gestalt eines Kolosses von einem Mann, wie man sie an jeder Clubtür findet, winkt uns wortlos herein.
Ich folge Anna einen langen Gang entlang, der so schmal ist, dass wir bloß hintereinander gehen können, wie in einer Katakombe, und dann noch zwei Treppen tiefer. Nun befinden wir uns unter der Stadt. Mir kommt es so tief vor, als wären wir durch die Erde hindurch direkt in die Hölle gestiegen.
Plötzlich stehen wir vor einer großen, schmutzig-grünen Stahltür. Anna klopft erneut an, und die Tür wird von einem weiteren Koloss geöffnet.
Das Erste, was mir auffällt, ist der Geruch. Statt des schwachen Dunsts von Alkohol und Moder riecht es hier nach Sex – es ist der Geruch von erhitzten Körpern, die gegeneinanderprallen und sich vereinen.
Die zweite Sache, die ich bemerke, ist die Hitze. Feucht und dampfig. Die Art von Hitze, bei der einem sofort der Schweiß ausbricht.
Und drittens der Sound. Techno. Denn was wäre ein Club schon ohne Techno. Genau genommen ist es deutscher Techno. Deutscher Hardcore-Techno in ohrenbetäubender Lautstärke. Die perfekte sinnverwirrende Hochdruck-Fickmusik.
Wir betreten einen großen, rechteckigen Raum mit Ziegelwänden, einer Bar, die eine komplette Seite einnimmt, und einer so tiefen Decke, dass ich das Gefühl habe, sie berühren zu können, wenn ich den Arm ausstrecke. Der Raum ist voller Freaks aller Couleur; manche sehen nur freakig aus, manche sind einfach von Natur aus Freaks und benehmen sich auch so. Sie haben sich alle versammelt, um was auch immer miteinander zu treiben. Es sieht so aus, als hätten sich alle Sonderlinge der Welt hier zusammengefunden. Sie wissen nicht, warum. Sie wissen bloß, dass das hier ihr Platz ist. Wo sie nicht verurteilt oder verdammt oder schief angeschaut werden. Wo sie all ihren kleinen, wie auch immer gearteten Sünden frönen können.
Zu beiden Seiten der Bar stehen Käfige, wie für Hamster, bloß größer, viel größer. In einem befindet sich ein nacktes Mädchen, im anderen ein nackter Kerl. An den Gittern sind jeweils ein leerer Futternapf und eine ebenso leere Saugflasche befestigt. Ein Kleinwüchsiger, der nichts als einen Zylinder trägt, steht vor dem Käfig und bewirft das Mädchen mit Erdnüssen.
Gegenüber der Bar befinden sich mehrere Gewölbegänge, die in andere Bereiche des Clubs führen.
»Da hinten geht’s richtig zur Sache«, erklärt mir Anna. »Aber sobald man diesen Raum hier verlässt, ist es wie in einem Labyrinth. Man kann sich leicht verirren und dann könnte man glatt glauben, dass man nie wieder rausfindet.«
Ich sehe mich um und rede mir ein, dass dies hier so ist wie in jedem anderen Club, den man so in Filmen zu sehen bekommt. Laute, wummernde Musik dröhnt, es ist dunkel und überall sind Freaks, die nicht aussehen wie normale Leute und manche nur annähernd wie Menschen. Und der Protagonist ist verzweifelt auf der Suche nach etwas oder
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