Die Juliette Society: Roman (German Edition)
das?«
»Weil sie genauso rallig sind wie Achtzehnjährige. Nur dass ihre Körper da nicht mehr mithalten können.«
Ich pruste los.
»Ich mein’s ernst«, sagt sie. »Sie legen los wie die Irren, bis sie total erschöpft sind. Dann müssen sie eine Pause einlegen, um sich zu erholen und ihr Stehvermögen zurückzugewinnen. Und dann geht’s wieder von vorne los. So können sie die ganze Nacht durchhalten.«
»Aber sind die jungen Typen nicht genauso? Wo ist da der Unterschied?«
»Die Jungen müssen sich immer was beweisen«, sagt sie und dreht ihren Lippenstift auf. »Außerdem sind diejenigen, die toll aussehen, meistens so eitel, dass sie im Bett keinerlei Fantasie haben.«
»Ja, ich weiß genau, was du meinst«, stimme ich ihr zu und muss an meinen Exfreund aus der Footballauswahlmannschaft denken.
»Die vögeln am liebsten vor dem Spiegel, damit sie sich selbst aus allen Perspektiven bewundern können«, fährt Anna fort, »als wären sie die Regisseure ihres eigenen kleinen Pornofilms. Die ficken eigentlich bloß sich selbst, und du bist nur Teil der Requisite. Aber ältere Typen kümmern sich eher darum, dass du dich auch gut fühlst. Und sie probieren immer gern was Neues aus. Weil sie schon alles gemacht haben und jeden Kniff kennen. Und da ist noch eine Sache«, meint Anna und rückt ihre Maske zurecht. »Es spielt wirklich keine Rolle, wie alt das Ding ist, solange es voll funktionsfähig ist. Und diese Typen muss man kaum anfassen. Sie werfen ’ne Viagra ein und in Nullkommanichts sind sie hart.«
Sie schnippt mit dem Finger.
Ich weiß nicht, wie lange wir auf dem Klo waren, aber als wir wieder rauskommen, ist es nicht mehr dieselbe Party. Mitnichten. Plötzlich herrscht eine völlig andere Stimmung im ganzen Haus. Es ist so, als hätte jemand, wäh rend wir weg waren, eine Glocke geläutet wie bei der Börsen eröffnung, und eine Millisekunde später herrscht emsiges Treiben auf dem Parkett und die Orgie bricht los.
Niemand unterhält sich mehr. Jetzt wird überall gevögelt. In Zweier-, Dreier- oder Vierergruppen geht es zur Sache, und manch einer sieht auch bloß zu und holt sich solo einen runter.
Wir stehen am oberen Treppenabsatz, und ich lasse das alles erst mal auf mich wirken. Ich muss sagen, es ist ziemlich überwältigend, und mir wird klar, dass es diesmal kein Verstecken gibt, kein Entkommen. Jetzt heißt es, mitmachen oder Klappe halten. Ich brauche noch eine Minute, muss mich erst sammeln, tief durchatmen, bevor ich mich ins Getümmel stürze.
»Geh schon mal runter«, sage ich zu Anna. »Ich komm in einer Minute nach. Ich will mir das Ganze bloß kurz von hier oben aus ansehen.«
»Okay«, sagt sie und hopst die Stufen hinunter wie ein Fohlen auf die Weide. Als könne sie es kaum erwarten, sich ins Getümmel zu stürzen.
Ich lehne mich übers Geländer, schaue die Treppe hinunter und sehe die Leute im Hauptraum vögeln. Ich ertappe einen Kerl dabei, wie er mich von dort aus anstarrt. Und ich weiß wirklich nicht, wieso ich die seltsamen Typen momentan so anziehe. Ich scheine einen bestimmten Geruch abzusondern.
Etwas an seiner Maske, die viel raffinierter ist als alle anderen, die ich hier bisher gesehen habe, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Und dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Es ist der Mann aus meinem Traum, der Renaissancemensch mit der Harlekinmaske, der mein Verlangen entfesselt hat.
Das wird mir klar in dem Sekundenbruchteil zwischen seinem ersten Blick und dem Moment, als er auf mich zukommt. Mein Herz hört auf zu schlagen. Ich bin vor gespannter Erwartung wie gelähmt. Er hält auf mich zu wie eine Predator -Drohne. Alles scheint sich zu verlangsamen. Ich habe das Gefühl, ich sehe ihn in Zeitlupe auf mich zukommen und lasse ihn in allen Details auf mich wirken.
Er bewegt sich mit selbstherrlicher Arroganz und ist sich seiner Attraktivität vollkommen bewusst. Seine Haut ist gebräunt und ledrig, aber sein Körper ist straff, seine Muskeln wohldefiniert. Er sieht aus, als achte er auf sich, als treibe er Sport. Seine Physis verrät mir, dass dieser Mann um seine Macht weiß und sie auch einsetzen kann. Er sieht gut aus für sein Alter. Ich weiß es nicht genau, aber ich schätze ihn auf vierzig oder älter.
Jetzt ist er so nah, dass ich ihn riechen kann. Er riecht nach Geld.
Als er vor mir steht, bin ich bereits Feuer und Flamme. Er hat irgendetwas an sich, aber ich kann es nicht genau festmachen. Dann wird es mir bewusst. Etwas an ihm
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