Die Juliette Society: Roman (German Edition)
als die Zeichnungen aus dem Buch wieder, in dem Brigitte Bardot in Godards Die Verachtung blättert. Der vulgäre, amerikanische Produzent hat es ihrem Ehemann, einem Drehbuchautor gegeben, da dieser mehr Sex in das Skript von Regisseur Fritz Lang bringen soll, das der Produzent bloß für künstlerischen, griechischen Mythologiekram ohne jedes Kassenschlagerpotenzial hält. Der Produzent hat Brigittes Mann also ein Buch mit erotischer römischer Kunst zugesteckt, damit dieser sich darauf einen runterholen kann – in der Hoffnung, ein bisschen etwas von seiner Geilheit würde in seine Arbeit einfließen. Der Produzent will schließlich, dass die Leute ihren Arsch ins Kino bewegen. Die Bilder aus diesem Buch und an dieser Wand dienen tatsächlich einem bestimmten Zweck: Ursprünglich waren sie eine Art Sex-Leitfaden und erotische Anregung für die Gäste eines Bordells in Pompeji. Und ich schätze, auch hier sollen sie diesem Zweck dienen.
Dickie redet und redet, und die einzigen Worte, die ich wahrnehme, sind »entladen«, »Rüttler« und »härten«. Ich weiß nicht, ob er noch immer über Beton spricht oder schon zum Dirty Talk übergegangen ist, aber ich schätze, wenn er von Fertigbeton schon dickiehart wird, dann ist er vermutlich auch sonst leicht zu unterhalten. Ich bin bloß nicht die richtige Person, um ihm diesen Gefallen zu tun.
»Härten«, sage ich.
»Ja, Schätzchen, härten«, sagt er. »Hydraulische Abbindung.«
»Oh«, sage ich und blende ihn sofort wieder aus. Ich sehe mich um, betrachte all die anderen nackten Männer und Frauen jeden Alters und jeder Figur und Größe und frage mich, in welchen Branchen sie wohl arbeiten.
Kunststoff. Biotechnik. Handfeuerwaffen. Erdöl. Arzneimittel. Logistik. Warentermingeschäfte.
Auch all diese namenlosen, gesichtslosen Bürokraten, die Konzernen vorstehen, von denen man noch nicht einmal gehört hat, deren Einfluss jedoch unübersehbar in jeden Bereich unseres Alltagslebens reicht – von den Pillen, die man schon vor dem Frühstück nimmt, über das Benzin, das man in seinen Wagen tankt, bis zum Memory-Foam-Kissen, auf das man nachts seinen Kopf bettet – auch diese Leute haben ein Sexleben. Auch sie müssen mal vögeln. Und ich schätze, das tun sie dann hier. Genau hier. Auf einer High-End-Sexparty wie dieser, die eigens dafür veranstaltet wird, um, wenn schon nicht ihren Anstand, dann doch ihren guten Ruf zu schützen. Sie tragen Masken, damit sie auch in ihrem Privatleben so anonym bleiben können wie in der Öffentlichkeit.
Plötzlich muss ich dringend pinkeln und mir fällt ein, dass das außerdem der perfekte Vorwand für uns ist, Dickie und Freddie loszuwerden.
Ich sage: »Meine Herren, wenn Sie uns bitte entschuldigen würden. Wir müssten uns mal eben frisch machen.«
Wir stehlen uns so schnell davon, wie uns unsere Absätze tragen, und verschwinden auf dem Klo eine Etage höher.
»Was ist denn das hier?«, frage ich Anna, als wir nebeneinander vor dem Spiegel stehen und unser Make-up auffrischen.
»Sie nennen es die Juliette Society «, meint sie.
»Was soll das denn sein?«, frage ich.
»Viel mehr weiß ich auch nicht«, antwortet sie. »So nennen sie’s einfach. Formulieren wir’s mal so: die Fuck Factory i st für Normalos, und diese Leute hier sind keine Normalos.«
»Das sehe ich«, murmle ich. »Wie um alles auf der Welt hat Bundy hier seine Finger reinbekommen?«
»Ach, weißt du«, kichert sie. »Bundy steckt voller Überraschungen. Seine Wege sind unergründlich.«
»Wie meinst du das?«, frage ich neugierig.
»Na ja«, meint sie, »er wirkt vielleicht billig, aber das täuscht. Er kennt ein paar reiche Mädchen, die so drauf sind wie er und alles für ihn tun. Die Sorte Mädels, die über einen sechsstelligen Treuhandfonds verfügen, aber als Stripperinnen arbeiten. Er hat ihnen sogar eine Website gewidmet.«
»Lass mich raten«, werfe ich ein. » Dirty Rich Bitches ?«
»Woher weißt du das?« Anna klingt aufrichtig überrascht.
»War bloß so ’ne Vermutung.«
Ich ziehe mir den Lippenstift nach, und Anna legt nochmal Rouge auf. Sie begutachtet ihr Gesicht im Spiegel, um sicherzugehen, dass es gleichmäßig aufgetragen ist. »Weißt du, ältere Kerle wissen wirklich, wie man eine Frau zufriedenstellt.«
Immer wenn ich denke, ich hätte Anna durchschaut, lässt sie so einen weisen Spruch los, noch so eine Perle. Sie erstaunt mich immer wieder. Und sie sagt es wie die beiläufigste Sache der Welt.
»Wie
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