Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Titel: Die Juliette Society: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasha Grey
Vom Netzwerk:
Lehrer hätte ich wirklich nicht sein wollen.
    Mit jeder Karte, die sie hochhält, stellt sie jeweils ein Emoticon dar, das sie für passend hält – als würde sie eine Runde Scharade spielen, bei der schon alle die Antwort kennen, bevor sie die Pantomime sehen.
    Auf dem ersten Zettel steht.
    ICH HAB EIN TYPEN KENNENGELERNT
    Und auf dem nächsten:
    ER WAR TOTAL SÜS.
    Sie hält den Daumen hoch und setzt ein breites, dümmliches Grinsen auf.

    ER HATTE EIN Krispy-Kreme-Donut-TATTOO UNTERM AUGE
    Das kann doch wohl nur Bundy gewesen sein.
    LOL
    Sie mimt, dass sie sich vor Lachen den Bauch hält.
    ICH DACHTE ER LIEBT MICH
    ICH DACHTE WIR WÄRN 4EVER 2GETHER.
    Sie zeigt ein Herz mit beiden Zeigefingern und Daumen, hält es sich links vor die Brust und grinst wieder.
    UND DASS ER AUF MICH AUFPASST
    ICH HAB IHN FOTOS VON MIR MACHN LASSEN
    Sie schüttelt den Kopf, um Enttäuschung zu mimen.
    ER HAT GESAGT SIE SIND NUR FÜR UNS
    Sie beißt sich auf die Unterlippe und nickt.
    DAMIT WIR UNS AN UNSER
    1. MAL ERINNERN.
    UND SIE UNS ANSCHAUN KÖNNEN,
    WENN WIR MAL GAAANZ ALT SIND.
    UND UNS ERINNERN WIE WIR WARN
    UND ICH HAB IHM VERTRAUT
    ABER ER WAR NICH EHRLICH
    Kirstin schüttelt feierlich den Kopf. Ich schaue mir das Ganze an und denke, dass das wohl kaum »Subterranean Homesick Blues« ist. Und ich bezweifle, dass Bob Dylan das gutheißen würde.
    ER HAT SIE INS INTERNET GESTELLT
    ICH HATTE KEINE AHNUNG
    BIS ES ZU SPÄT WAR
    Sie runzelt die Stirn und schüttelt noch mal den Kopf – ein langsames Könnt-ihr-das-glauben-Kopfschütteln.
    BIS MIR
    MEINE BESTE FREUNDIN
    BESCHEID SAGTE
    IHR BRUDER HAT SIE ENTDECKT
    UND AUFS HANDY GELADEN
    UND SIE ALLEN GEMMST
    ALLE HABNS GESEHN
    UND ALLE HABN AUF
    FACEBOOK ÜBER MICH
    GELÄSTERT
    HABN MICH GETAGGT
    DAMIT ICHS SEHE
    Sie hat die Pantomimen aufgegeben und hält die Zettel jetzt so schnell hintereinander hoch, wie sie nur kann, weil sie bloß noch will, dass das hier vorbei ist. Weil es wirklich peinlich ist, all das in einem öffentlichen Forum zu verkünden. Ihr Gesicht ist zu einer Maske des Bedauerns erstarrt.
    ALLE HABN SCHREKLICHE
    DINGE ÜBER MICH GESAGT
    MICH SCHLAMMPE GENANNT
    UND HUHRE
    UND JUNKI.
    Je niederschmetternder ihre Geschichte wird, desto mehr scheint ihre Rechtschreibung darunter zu leiden.
    ICH WÜNSCHTE
    ES WÄR NIE PASIRT.
    Und ICH HÄTTE IHN
    NIE GETROFFEN.
    Hier endet das Video. Ich muss an den Abend denken, an dem ich mit Bundy und Anna aus war und ihn bei der Arbeit erleben durfte, und ich komme zu dem Schluss, dass sie bestimmte Details weglässt und andere beschönigt, um ihre Würde zu behalten. Nur die Hälfte davon klingt wirklich nach Bundy. Die echt üblen Stellen. Ich will nicht verharmlosen, was sie durchgemacht hat, was sie geglaubt hat, tun zu müssen, aber was unterm Strich übrig bleibt, sieht nach einem ziemlich klaren Fall von Cybermobbing aus, und wer kann da mit Sicherheit sagen, was der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
    Forrester Sachs erzählt feierlich noch einmal von den letzten Stunden von Kirstin, mit all der Gravität, der er sich vermutlich auch bedienen würde, wenn er vom Tod eines hoch geschätzten Staatsoberhauptes berichten würde. Dann fängt er an, die Namen aller anderen Mädchen aufzuzählen, die auf Bundys Website aufgetaucht sind und sich am Ende umgebracht haben.
    Als er bei »Daisy Taylor« angelangt ist, fällt der Groschen. Daisy, das Mädchen, das mit Jack im Wahlkampfbüro gearbeitet hat. Ich weiß nicht, warum ich diesen Zusammenhang nicht schon früher hergestellt habe. Vielleicht weil einem Dinge, die man im Fernsehen sieht, nicht real vorkommen und man immer denkt, sie hätten nichts mit dem eigenen Leben zu tun. Man geht davon aus, dass sie nur so tun, als seien sie real, nur so tun, als handelten sie von echten Menschen und wirklichen Geschehnissen.
    Jetzt geht es nicht mehr um Bundy, jetzt geht es um Jack. Ich schaue ihn an. Er starrt mit versteinertem Gesicht auf den Bildschirm. Ich lege ihm die Hand auf den Rücken, um ihn spüren zu lassen, dass ich für ihn da bin. Er scheint es überhaupt nicht zu merken, aber er rückt auch nicht von mir weg. Er sitzt wie gebannt vor dem Bildschirm, denn Forrester Sachs ist noch nicht fertig. Er hat noch ein paar Nägel für Bundys Sarg übrig.
    Sachs enthüllt noch etwas anderes über Bundy, das ich nicht wusste. Wenn eines der Mädchen, die auf Bundys Websites landete, es später bereute, wenn es sich beschwerte, wenn es bettelte und flehte,

Weitere Kostenlose Bücher