Die Juliette Society: Roman (German Edition)
ihren Sohn zu sagen hat.«
In der Werbepause hole ich Jack ein Bier, und während ich in der Küche bin, rufe ich Anna an. Sie nimmt nicht ab. Stattdessen simse ich ihr.
Bundy. WTF!
Sie antwortet nicht, solange ich das Bier aus dem Kühlschrank hole, also lasse ich mein Handy auf der Küchentheke liegen und aktiviere die Sperre – für den Fall, dass Jack reinspaziert.
Ich bringe ihm sein Bier, gerade rechtzeitig, um Charmaine auf dem Balkon ihrer Eigentumswohnung mit Meerblick stehen zu sehen. Der Wohnung, die Bundy für sie gekauft hat. Der Wohnung, die der Bank gehört, wenn er nicht weiter die monatlichen Raten bezahlt – denn Charmaine hat kein eigenes Einkommen. Also bin ich mir sicher, dass sie die Chance, im Fernsehen aufzutreten, um Bundy zur Rückkehr zu bewegen, gern beim Schopfe gepackt hat. Charmaine Tremayne hat ihre eigene rührselige Leidensgeschichte zu erzählen.
Nachdem Bundy zur Welt gekommen war, machte Charmaine klar Schiff in ihrem Leben und verspürte danach das Bedürfnis, die Leere zu füllen, die die Drogen hinterlassen hatten. Anna hatte mir erzählt, dass sie sich der Religion zugewandt hatte, die Religion aber so betrieb wie alles andere in ihrem Leben, nämlich wie eine Kaufsüchtige oder als experimentiere sie mir verschiedenen Mischungen von Pillen und Pülverchen. Und irgendwann hatte sie dann das Gefühl, sie hätte alles durch.
New Age, Christentum, Judentum, Buddhismus, Hinduismus, Sikhismus, Islam.
Jedes Mal, wenn sie eine neue Religion für sich entdeckte, brachte sie es nicht übers Herz, die alte ganz fallen zu lassen. Also erweiterte sie ihren Glauben einfach um die neue, indem sie zusätzliche Rituale, zusätzliche Formen des Aberglaubens und zusätzliche Ikonen übernahm. Alle hinterließen ihre Spuren bei ihr. Sie hat Hennatattoos auf den Händen, indianische Schutzamulette um die Handgelenke und ein Kruzifix um den Hals. Sie praktiziert Yoga, Meditationsgesänge, geht zur Beichte, heiligt den Sabbath und fastet. Sie ist ein wandelnder religiöser Widerspruch, als glaube sie an alle Religionen und gleichzeitig an keine.
Anna hat mir auch erzählt, was aus Bundys Vater, Richard Savoy Tremayne, wurde, der einen ähnlichen, aber nicht ganz denselben Weg eingeschlagen hatte. Auch er entsagte den Drogen, kündigte seinen Bankjob und gründete eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die das Gleiche tun wollten. Genau wie Kubrick stieß er im Finanzsektor auf jede Menge Gleichgesinnter. Das Geschäft florierte. Junkiebanker strömten zu ihm und hofften auf Richards Unterstützung und Rat. Die Selbsthilfegruppe wuchs sich zu einer Sekte aus, bestehend aus ehemaligen cracksüchtigen Bankkaufleuten, heroinsüchtigen Finanzvorständen und Wertpapierhändlern auf Speed, mit Richard als Galionsfigur und Guru und Charmaine an seiner Seite. Bundy wuchs in dieser Sekte auf, bis er in die Pubertät kam und anfing, zu rebellieren.
Ungefähr zu dieser Zeit konvertierte Charmaine kurzentschlossen zum Islam und nahm einen muslimischen Namen an – Leila. Da erkannte sie, dass sie Richard nur geheiratet hatte, weil sich sein Nachname so hübsch auf ihren Vornamen reimt. Also verließ sie ihn. Daraufhin brach er jegliche Verbindung zu ihr ab und ließ sie ohne Unterhalt stehen.
Als ich Charmaine dort auf dem Bildschirm betrachte, kann ich eindeutig erkennen, dass sie nicht genug Sex hat – oder den falschen. Sie ist wie eine dieser Büroleiterinnen, die so verklemmt und überspannt sind, dass sie ihre männlichen Kollegen damit in den Wahnsinn treiben. Und die tuscheln dann hinter ihrem Rücken, dass sie bloß »mal ordentlich durchgevögelt« werden müsste.
Und jeder denkt, er wäre derjenige, der es ihr besorgen wird. Vielleicht haben sie recht, vermutlich braucht sie bloß einen ordentlichen Fick. Aber andererseits glaube ich, dass es vielleicht doch nicht ganz so einfach ist. Ich denke, wenn man sich selbst sexuell auf eine Nulldiät setzt, dann verfault nicht bloß der Körper, sondern auch der Geist – von innen heraus –, wie bei Syphilis, und irgendwann sieht man es den Leuten dann am Gesicht an, an der Haut, am Verhalten und am ganzen Wesen.
Charmaine Tremayne würde ihre Seele für ihren Sohn verkaufen. Aber bereit erklärt, in Forrester Sachs Sendung aufzutreten, hat sie sich bloß, um ihre Eigentumswohnung vor der Zwangsvollstreckung zu bewahren. Charmaine übersieht jedoch, dass sie entscheidend im Nachteil ist. Sie weiß nur, dass Bundy verschwunden ist. Sie denkt,
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