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Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Die Juliette Society: Roman (German Edition)

Titel: Die Juliette Society: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasha Grey
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aussieht, sondern wie es ihn aussehen lässt, denn für die Zuschauer ist Bundy schon jetzt ein gefährlicher Verbrecher. Innerhalb der dreißig Sekunden, in denen Forrester Sachs seine Sendung anmoderierte, wurde er vor dem Gericht der öffentlichen Meinung bereits angeklagt, für schuldig befunden und verurteilt.
    Wenn der Abspann läuft, wird Bundys Name bereits unter einigen oder allen folgenden Hashtags auf Twitter kursieren:
    #Sexmonster
    #Selbstmord
    #bundyrrrooocks
    #Pedofil
    #Peiniger
    #Busenblitzer
    #Blowjob
    #deaths2good4him
    #Held
    #Winner
    Ihm zu Ehren werden Facebookseiten, sowohl pro-Bundy als auch contra, wie die Pilze aus dem Boden schießen. Seiten, auf denen sein Name, sein Alter, sein Geburts- und Wohnort, sein sexueller Werdegang und die Polizeifotos öffentlich gemacht werden. Und jede hat bereits ein paar Hunderttausend Likes. Mädchen werden in der Kommentarleiste ihre Telefonnummern und BH-Größen hinterlassen. Es wird genauso viele offene Morddrohungen wie Worte der Ermutigung geben.
    Bundy ist von null auf hundert zu einem Bösewicht geworden, zu einem Promi, einem regelrechten Volkshelden. Seine Marke wird weltweit bekannt und all das kommt mir schrecklich falsch vor.
    Bundy wird im landesweiten TV diffamiert, was er auch verdient hat. Er ist schlicht und einfach ein Wichser. Auch wenn ich eigentlich noch wütender auf mich selbst bin, weil ich ihn schon im Vorfeld durchschauen hätte müssen. Genauso wie ihn diese Mädchen durchschauen hätten müssen. Aber sie sind nicht mehr hier, um für sich selbst zu sprechen und um zu berichten, was wirklich geschehen ist. Stattdessen spricht Forrester Sachs für sie. Ein Moderator, der ihre tragischen Geschichten in goldene Einschaltquoten verwandelt.
    »Die zweiundzwanzigjährige Kirstin Duncan wusste keinen Ausweg mehr«, verkündet Sachs. »Ihr One-Night-Stand wurde zu einem Albtraum, aus dem sie kein Entkommen mehr sah. Ein Albtraum, der sie in den Selbstmord trieb. Doch vorher nahm sie noch dieses Video auf, damit die Welt auch ihre Seite der Geschichte hört. Damit entlarvt sie das Sexmonster, das dafür verantwortlich ist, dass sie ihr Leben nicht mehr lebenswert fand.«
    Sie zeigen das Video, ohne jeden Kommentar oder Offtext, und ich muss zugeben, es ist ziemlich belastend. Zwar geht Kirstin nicht so weit, Namen zu nennen, aber es wird ziemlich offensichtlich, wer sie zu diesem Schritt getrieben hat. Wer dafür verantwortlich ist.
    Bundy.
    Das Video wurde in Kirstins Zimmer aufgenommen. Mit der Webcam ihres Laptops. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und hinter ihr ist alles weiß und pink und Hello Kitty-mäßig und entweder flauschig oder aus Spitze. Es sieht aus wie in einem Kinderzimmer, das ausstaffiert wurde, ohne jegliche Kosten zu scheuen.
    Ein Kinderzimmer, in dem eine Erwachsene wohnt.
    Sie hat sich herausgeputzt, geschminkt und ihre Lieblingssachen angezogen. Sie sieht richtig hübsch aus. So unschuldig und niedlich. Sie sieht aus wie die Tochter von irgendwem. Nicht wie der One-Night-Stand von irgendwem. Sie sieht aus, als könne sie kein Wässerchen trüben. Und so sehr ich es auch versuche, ich kann mir ihren Mund nicht um Bundys Schwanz vorstellen, geschweige denn sein Sperma auf ihrer Zunge. Das kommt einem einfach nicht richtig vor. Was vermutlich Sinn und Zweck dieser ganzen Übung ist.
    Es ist ein stummes Video – als wäre der Tonfilm im Zeitalter von Smartphones und Internet noch nicht erfunden – mit einem Nickelback-Song als Soundtrack, was mir zweckmäßig erscheint, denn wenn es eine Band gibt, die eine Online-Selbstmordankündigung untermalen sollte, dann Nickelback.
    Wenn ich ein junges Mädchen wäre, das keinen Sinn mehr im Leben sähe, würde ich mich vermutlich auch dafür entscheiden, dass Chad Kroeger für mich spricht und mir die Stimme verleiht, die ich glaubte, nicht zu haben. Eine Stimme, die meinen tiefsten Schmerz und Kummer zum Ausdruck bringt. Die Stimme, die sagt: »Ich bin fertig.«
    Während Chad singt, hält Kirstin eine Reihe von Zetteln hoch, die sie auf einem Stapel vor sich bereitgelegt hat. Es sind die Dinge, die sie zu sagen hat und die die Welt hören soll. Alle ihre Geheimnisse. Fein säuberlich mit schwarzem Filzstift – alles in Großbuchstaben – auf acht bis zehn Bögen weißen Kartons niedergeschrieben, wenn auch ohne Rücksicht auf Grammatik, Zeichensetzung und Rechtschreibung. Ich frage mich, wie jemand zwanzig werden und noch immer wie eine Zehnjährige schreiben kann. Ihr

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