Die Jungens von Burg Schreckenstein
Wie ein Besessener bearbeitete er das Klavier und entlockte ihm die tollsten Bässe. Sein früherer Fleiß kam ihm hierbei offensichtlich zugute.
Aus allen Zimmern stürzten die Jungens, um zu sehen, wie Gießkanne den Scherz aufnehmen würde. Denn sie wußten ja sowohl, daß er Geburtstag hatte, als auch, daß der „Jäger aus Kurpfalz“ alles andere als sein Lieblingsstück war. Und dazu noch verjazzt!
Mit der entsprechenden Verspätung, wie sie einem gefeierten Lehrer zukommt, erschien Gießkanne endlich.
„So gefällt es mir“, sagte er und nickte dabei lächelnd vor sich hin, „so wollen wir’s in Zukunft auch singen!“ Mit dieser Antwort hatte er alle Erwartungen übertroffen und wurde stürmisch gefeiert. Der lange vermißte Schwung war endlich wieder da. Auch der Rex zeigte sich über den musikalischen Streich erfreut, und die Horror-Rock-Jazz-Band stieg in der Achtung aller. Ganz besonders wurde Strehlau gefeiert, dessen plötzliches Talent als Jazzpianist allgemein auf fiel. Er war wie ausgewechselt. Und seit er auch außerhalb des Unterrichts etwas hatte, womit er glänzen konnte, war er gar keine „Flasche“ mehr. Aber das Musizieren brachte noch etwas völlig Unerwartetes mit sich. Stephan hatte während der Ferien in einem Hotel ein „ Bartrio “ gehört und war davon sehr begeistert gewesen. In diesem Stil sollte seine Kapelle auch spielen! Als er den „Musikern“ erklären wollte, worauf es dabei ankommt, war durch das Wort „ Barmusik “ plötzlich eine Gedankenverbindung zu der Bar „Grüne Eule“ und somit zu Klinke da. Eine tolle Idee kam ihm, ein Wahnsinnsplan, derart aufregend, daß er alle Mühe hatte, sich nichts anmerken zu lassen. Das mußte schnellstens besprochen werden! Noch heute nacht .
„Wir fahren zu Klinke in die Bar“, weckte Stephan seinen Freund aus tiefstem Schlaf.
„ Waaaaas ?“ grunzte Ottokar und wußte gar nicht, ob er sich zuerst wundern oder zuerst gähnen sollte.
„Ja, wir fahren mit den Rädern hin und setzen uns einfach zu dem Fetten an die Theke!“ spann Stephan seinen waghalsigen Gedanken weiter.
Da wurde Ottokar wach:
„Du hast dir wohl beim Kugelstoßen die Birne beschädigt, wie?“
„Geh erst mal aus deiner Miefkiste ’raus, bevor du mit mir sprichst“, parierte Stephan, „du weckst noch den ganzen Verein!“
Ottokar sah das offenbar ein, denn er stand auf und zog sich schweigend an. Leise verließen sie das Zimmer und schlichen sich, ohne daß jemand etwas merkte, zu ihrem Versteck, wo niemand sie hören konnte. Dort wurde dann beim Schein eines Kerzenstummels beratschlagt, aufgezeichnet, verworfen, neu erwogen, bis ein Plan feststand, der an Kühnheit nicht zu überbieten war.
Sie wollten tatsächlich zu Klinke in die Bar!
Genauer betrachtet sah das so aus: Wie jeden Abend um neun Uhr zu Bett gehen — um elf wieder aufstehen — Sonntagsanzug mit langen Hosen anziehen — Haustür mit Dietrich öffnen — Fahrradstall und Burgtor ebenso und dann ’rauf auf die Räder und ab durch den Wald nach Neustadt. — Dort die Räder in der Toreinfahrt neben dem Geschäft von Ottokars Eltern abstellen und zu Fuß um die Ecke zur „Grünen Eule“. Hier war in Gestalt des Empfangschefs die erste Klippe zu erwarten.
„Du wirst Augen machen“, versicherte Ottokar, „das ist der Vater von dem Gebirge aus der Franz-Joseph-Schule, ein Kleiderkasten von einem Mann!“
„Wir sagen einfach, wir wollen zu unseren Eltern! — Dann muß er uns ’reinlassen!“ schlug Stephan vor.
Erst einmal drinnen, wollten sie schnurstracks zu Klinke gehen und ihm eine ergreifende Geschichte er-
zählen. Sie seien auf der Burg ausgerissen—wollten sie sagen —, weil das Leben dort unerträglich sei, und trauten sich jetzt nicht heim, ob er ihnen nicht helfen könne!
Ottokar, der diesen Vorschlag anfangs abgelehnt hatte, wurde von Stephan überzeugt, daß es die einzige Möglichkeit sei, um überhaupt etwas zu erfahren.
„Wenn wir auf die Burg schimpfen und ihn um Hilfe bitten, erzählt er uns bestimmt, was er vorhat. Höhere Kriminalistik nennt man das!“ versicherte er. Ihm war zumute wie damals beim Sportfest, er hatte alles zu verlieren oder alles zu gewinnen. Die Sache war ungeheuer frech und, wenn sie herauskam, dann, wie gesagt: „Gute Nacht“.
„Gute Nacht“, gähnte da Ottokar stark übertrieben, denn mittlerweile war es schon hell. Sie schlichen in ihre Betten, und als Werner hereinkam, um sie zu wecken, hatten sie noch kein Auge
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