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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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hatte, an dem ihm nur deshalb etwas lag, weil er die Zerstörung seines Heimes nicht ertragen konnte.
    Er schloß die Augen und sah eine lächelnde Joan in Männerkleidung vor sich. Dieses unberechenbare Mädchen! Er zweifelte nicht daran, daß seine Verlobte zurückkommen würde — falls sie überhaupt hier gewesen war.
    Eine Stunde später bekam er einen Schock, denn Joan kam nicht allein zurück. Ihr Bruder Douglas begleitete sie. Colin sah, daß sie noch immer als Junge verkleidet war. Erzog ihr Bruder sie denn gar nicht? Brachte er ihr nicht bei, wie eine junge Dame der Gesellschaft sich zu benehmen hatte?
    Colin starrte den Grafen an, ohne auch nur ein Wort hervorzubringen. Douglas warf nur einen Blick auf ihn, bevor er ruhig sagte: »Sie kommen mit ins Sherbrooke House. Sogar ein Blinder könnte sehen, daß Sie krank sind, und meine Schwester will keinen Mann heiraten, der mehr tot als lebendig ist.«
    »Du warst also wirklich hier«, murmelte Colin, an Sinjun gewandt.
    »Ja, und jetzt wird alles gut werden. Ich werde dich nämlich selbst pflegen.«
    »Verdammt, ich bin nur müde, nicht krank. Du bauschst diese Sache viel zu sehr auf, und ich will nur, daß man mich alleinläßt und . . .«
    »Seien Sie still«, befahl Douglas.
    Und Colin gehorchte, weil er sich so hundsmiserabel fühlte.
    »Sinjun, mach, daß du rauskommst. Der Mann ist nackt, und du kannst nicht hier herumstehen und ihn in Verlegenheit bringen. Schick Henry und Boggs rein, damit sie mir helfen, ihn anzukleiden.«
    »Ich kann mich allein anziehen«, krächzte Colin, und Douglas widersprach nicht.
    Es gelang Colin tatsächlich, ohne fremde Hilfe in seine Kleider zu kommen, aber die Fahrt in der Kutsche war ein regelrechter Alptraum, und als Henry und Boggs ihm die Treppe hinaufhalfen, wurde er ohnmächtig.
    Erst im Gästezimmer entdeckte Douglas die etwa zehn Zentimeter lange gezackte Messerwunde an Colins rechtem Oberschenkel.

KAPITEL 4
    »Du mußt dich ein wenig ausruhen, Sinjun. Es ist schon nach Mitternacht — fast eins, genauer gesagt.«
    Es kostete Sinjun große Überwindung, ihre Augen von Colins stillem Gesicht loszureißen und ihre Schwägerin anzusehen. »Ich kann hier sehr gut ausruhen, Alex. Wenn er aufwacht, muß ich hier sein, weil er immer so durstig ist.«
    »Er ist ein kräftiger Mann«, sagte Alex beruhigend. »Er wird bestimmt nicht sterben. Auch der Arzt hat gesagt, daß er es überleben wird.«
    »Trotzdem will ich ihn nicht verlassen. Er hat schreckliche Alpträume gehabt.«
    Alex gab ihr eine Tasse Tee und setzte sich zu ihr. »Was für Alpträume?«
    »Das weiß ich nicht. Jedenfalls fürchtet er sich und ist verwirrt. Vielleicht sind es auch nur Fieberphantasien.«
    Colin hörte ihre leise Stimme. Sie versuchte Ruhe vorzutäuschen, aber es gelang ihr nicht ganz, die Sorge um ihn zu verbergen. Er wollte seine Augen öffnen und sie ansehen, aber ihm fehlte dazu die Kraft. Sie hatte recht — er fürchtete sich, denn er hatte wieder einmal Fiona gesehen, die tot auf den Felsen lag, und er selbst stand auf der Klippe und starrte fassungslos auf die Leiche hinab. Er versuchte, jene Bilder zu verdrängen, aber sie verfolgten ihn, und er wurde von seinen Ängsten überwältigt, weil er sich an nichts erinnern konnte und in alle Ewigkeit der schrecklichen Unsicherheit ausgesetzt war. Hatte er Fiona umgebracht? Nein, verdammt, er hatte seine Frau nicht getötet! Nicht einmal dieser Alptraum konnte ihn davon überzeugen, daß er sie ermordet hatte. Jemand hatte ihn hergebracht, vielleicht sogar Fiona selbst, und dann mußte sie in die Tiefe gestürzt sein. Tief im Innern wußte er, daß er sie nicht hinabgestoßen hatte. Langsam wich er vom Klippenrand zurück, einen Schritt nach dem anderen, seltsam benommen. Er führte Männer an die Stelle, wo er sie gefunden hatte, und niemand fragte ihn, was geschehen war, warum Fiona mit gebrochenem Hals in zehn Meter Tiefe lag.
    Aber natürlich hatte es Gerede gegeben, endloses Gerede, das schlimmer war als eine konkrete Beschuldigung, denn gegen dieses Getuschel, gegen diese bösartigen Andeutungen war er machtlos. Selbst wenn er lautstark seine Unschuld beteuert hätte — wie hätte ihm jemand glauben sollen, nachdem er keine Erklärung geben konnte, was er selbst dort auf den Klippen zu suchen gehabt hatte? Er konnte sich an nichts erinnern, als er dort draußen zu sich kam. Der einzige Mensch, dem er das wenige erzählt hatte, woran er sich erinnerte, war Fionas Vater, das

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