Die Jungfernbraut
präsentiert. Einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul. Colin Kinross war schließlich kein kompletter Narr.
Er ging auf sie zu, zog sie hoch, betrachtete sie schweigend und küßte sie leicht auf den geschlossenen Mund. Obwohl er zu wissen glaubte, daß er sie sogar auf den Boden legen und an Ort und Stelle nehmen könnte, ohne daß sie Widerstand leistete, beherrschte er sich eisern. »Ich würde Sie gern Wiedersehen, trotz des Verbots Ihres Bruders. Möchten Sie morgen ausreiten? Wir werden diskret sein.«
»Sehr gern. Douglas wird nie etwas davon erfahren. Oh, Colin?«
Er drehte sich um.
»»Werden Sie mir Schottisch beibringen?«
»Mit größtem Vergnügen«, sagte er im singenden schottischen Tonfall. »Und du wirst mein Liebchen sein, ist dir das klar?«
»Ich bin noch nie ein Liebchen gewesen. Es hört sich herrlich an.«
Colin konnte nur abermals den Kopf über sie schütteln.
»Ich habe nichts Negatives über Ashburnham erfahren«, berichtete Douglas seiner Frau. »Er ist beliebt und geachtet, hat Eton und Oxford besucht und ist mit vielen Männern der Gesellschaft bekannt. Aus der Tatsache, daß er unbedingt eine reiche Erbin heiraten muß, macht er kein Geheimnis.«
Alex beobachtete im Frisierspiegel, wie er nervös auf und ab lief. Es war früher Abend, drei Tage vor Ablauf der Bedenkzeit, die Douglas sich ausgebeten hatte. Sie wußten genau, daß Sinjun und Colin sich am Tag nach der historischen Auseinandersetzung getroffen hatten, aber sie wollten keine große Affäre daraus machen. Soviel Douglas wußte, hatte Sinjun ihren Schotten seitdem nicht mehr gesehen. Freilich konnte man bei ihr nie sicher sein, weil sie unglaublich erfinderisch war.
»Wie lange ist er schon der Earl of Ashburnham?«
»Erst sechs Monate. Sein Bruder war ein Taugenichts, genau wie sein Vater. Die beiden haben den Besitz ruiniert. Um das riesige alte Schloß wieder instand zu setzen, sind hohe Summen erforderlich. Außerdem braucht er Geld für Ackerbau und Schafzucht, und auch seine Pächter sind sehr arm.«
»Aha«, sagte Alex langsam, »nachdem er Graf geworden war und die Sachlage erkannt hatte, faßte er also den Entschluß, eine reiche Frau zu heiraten. Ihm blieb vermutlich gar keine andere Wahl. Das stört dich doch nicht, Douglas, oder?«
»Nein, es ist nur . . .«
»Was, mein Lieber?«
»Sinjun kennt ihn doch kaum. Sie ist verliebt, weiter nichts. Und wenn sie erst einmal in Schottland lebt, ist niemand da, der sie beschützen könnte, und was . . .«
»Glaubst du, daß Colin Kinross ein Ehrenmann ist?«
»Keine Ahnung. Nach außen hin schon, aber wer weiß, was in seinem Kopf vorgeht? Und in seinem Herzen?«
»Sinjun wird ihn auf jeden Fall heiraten, Douglas. Ich hoffe nur, daß sie ihn nicht vor der Hochzeit verführt.«
Er seufzte. »Das hoffe ich auch. Und jetzt muß ich mit Mutter sprechen. Sie keift herum und treibt ihre Zofe zur Verzweiflung, weil sie ständig verlangt, daß der junge Mann zu ihr gebracht wird. Und sie droht damit, Sinjun nach Italien zu schicken, bis die Göre diesen Ausländer vergessen hat. Seltsamerweise stört es sie nicht im geringsten, daß er ihre Tochter nur des Geldes wegen heiraten will. Ihr mißfällt nur, daß er Schotte ist. Ihrer Ansicht nach sind alle Schotten brutal und geizig und außerdem auch noch Presbyterianer.«
»Vielleicht solltest du ihr ein paar Gedichte von Robert Burns vorlesen. Sie sind wunderschön.«
»Ha! Gedichte in einer Fremdsprache würden sie nur noch mehr in Rage bringen. Ich wünschte, Sinjun würde nicht mit Kopfschmerzen im Bett liegen. Wenn man sie einmal braucht, ist sie natürlich indisponiert. Typisch Sinjun!«
»Soll ich dich begleiten?«
»Dann bekommt Mutter einen solchen Tobsuchtsanfall, daß uns beiden das Trommelfell platzt. Sie hat sich immer noch nicht mit dir ausgesöhnt, meine Liebe, und höchstwahrscheinlich wird sie dich bald für dieses Debakel verantwortlich machen.« Seufzend verließ Douglas den Raum, wobei er über seine Schwester und ihr Kopfweh schimpfte.
Sinjun hatte kein Kopfweh. Sie hatte einen Plan — und war gerade dabei, ihn in die Tat umzusetzen. Ein großes Kissen, das sie sorgfältig in eine entsprechende Form gebracht hatte, sollte vortäuschen, daß sie im Bett lag und die Decke über den Kopf gezogen hatte. Sie zog ihre Hose hoch, zupfte das Jackett zurecht und schob den Filzhut tiefer in die Stirn. Gar kein Zweifel, sie sah wie ein richtiger Junge aus. Sie drehte sich um und
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