Die Jungfernbraut
gar keine andere Wahl als ihn zu heiraten. Sie hätte ihn liebend gern angebrüllt, daß es für sie viel zu spät war. Sie hatte ihm nun einmal ihr Herz geschenkt. Aber wenn sie ihm das gestand, würde er sich höchstwahrscheinlich wie Dschingis Khan aufführen. O ja, über Tyrannen wußte sie bestens Bescheid, obwohl Douglas mittlerweile nur noch sehr selten diese Rolle spielte. Sie erinnerte sich aber noch lebhaft an die allererste Zeit seiner Ehe mit Alex. Nein, sie würde es niemals dulden, daß Colin sich als Tyrann aufspielte, aber es hatte keinen Sinn, den Streit fortzusetzen. Deshalb schwieg sie, und Colin schlief, bis sie am späten Abend den Golden Fleece Inn in Grantham erreichten.
Offenbar hatte Colin beschlossen, die Fäden seiner verheilten Wunde selbst zu ziehen. Jedenfalls nahm er wieder zwei Zimmer, sagte ihr vor ihrer Tür >Gute Nacht< und verließ sie. Am nächsten Morgen mietete er sich ein Pferd, nachdem er ihr beim Frühstück mitgeteilt hatte, er sei es leid, in der Kutsche zu sitzen. Sie vermutete allerdings, daß er vermeiden wollte, auf so engem Raum mit ihr zusammen zu sein. Falls sein Oberschenkel ihn noch schmerzte, ließ er es sich nicht anmerken. In York mietete auch Sinjun ein Pferd, und ihre herausfordernden Blicke besagten: >Wag nur, dagegen zu protestieren! < Aber er zuckte nur die Achseln, so als wollte er zum Ausdruck bringen, >Es ist schließlich dein Geld. Wenn du es unbedingt verschwenden möchtest, so wundert mich das nicht im geringsten. < Sie war jetzt froh, daß er beschlossen hatte, auf den Umweg über den Lake District zu verzichten, obwohl sie sich zunächst vehement für diese Route eingesetzt hatte. Er wollte möglichst schnell nach Hause, und nicht einmal ihre Warnungen vor Douglas mit drei Gewehren und einem Schwert hatten ihn von seiner Absicht abbringen können. Sinjun dachte, während der Wind durch ihre Haare fegte, daß Lake Winder-mere ein viel zu romantischer Ort sei, um mit diesem schweigenden Mann dort zu verweilen. So hatte sie sich ihre Entführung nach Schottland nun wirklich nicht vorgestellt.
Und dann waren sie eines Morgens endlich auf schottischem Boden, in den Cheviot Hills, und Colin zügelte sein Pferd und rief:
»Halt einen Augenblick an, Joan. Ich möchte mit dir sprechen.«
So weit das Auge reichte, erstreckte sich eine sanfte Hügellandschaft, schön, aber öde; kein einziges Gehöft war zu sehen, keine Menschenseele. Die Luft war mild und duftete nach Heidekraut.
»Ich freue mich, daß du das Sprechen noch nicht ganz verlernt hast«, sagte Sinjun sarkastisch.
»Weißt du, was mir einfach unbegreiflich ist — daß du wütend bist, nur weil ich vor der Hochzeit nicht mit dir schlafen will. Dabei bist du doch eine junge Dame aus gutem Hause.«
»Darum geht es nicht . . .«
»Dann grollst du mir wohl noch immer, daß wir nicht über den Lake District gereist sind. Aber mit diesem lächerlichen Plan hättest du deinen Bruder bestimmt nicht an der Nase herumführen können.«
»Nein, auch deswegen grolle ich dir nicht. Also, Colin, was willst du?«
»Möchtest du mich immer noch heiraten?«
»Wirst du mich zwingen, wenn ich mich weigere? Schließlich brauchst du mein Geld.«
»Ich würde es vermutlich in Erwägung ziehen.«
»Ausgezeichnet. Ich weigere mich, dich zu heiraten. Von mir aus kannst du zur Hölle fahren. So, und jetzt zwing mich.«
Zum erstenmal seit vier Tagen lächelte er ihr zu. »Langweilig bist du jedenfalls nicht, das muß ich zugeben, und manchmal gefällt mir dein flinkes Mundwerk sogar. Also gut, wir werden morgen nachmittag Edinburgh erreichen. Ich besitze ein Haus am Abbotsford Crescent, es ist alt und renovierungsbedürftig, aber doch in besserem Zustand als Vere Castle. Wir werden dort Zwischenstation machen, und ich werde versuchen, einen Priester aufzutreiben, der uns traut. Und am nächsten Tag reiten wir dann zu meinem Schloß.«
»Einverstanden«, sagte Sinjun, »aber ich warne dich noch einmal, Colin, und du solltest mir wirklich glauben — Douglas ist sehr gerissen und gefährlich. Er könnte uns überall auflauern. Gegen die Franzosen hat er jede Menge schwieriger Geheimmissionen ausgeführt. Ich sage dir, wir sollten lieber auf der Stelle heiraten und . . .«
»Das heißt, wir werden zum Vere Castle reiten, wenn du nicht zu wund zum Reiten bist. Ansonsten werde ich dich in die Kutsche sperren.«
»Wovon redest du?«
»Davon, daß ich dich in unserer Hochzeitsnacht zu nehmen gedenke, bis du
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