Die Jungfernbraut
Jungfrau.
Er gab keine Antwort, und das ermutigte sie, ihren Monolog fortzusetzen: »Es stimmt schon, daß ich ziemlich freimütig bin, aber meine Brüder haben mich immer dazu ermutigt, und deshalb habe ich mich bei dir genauso benommen. Mit dir in diesem Zimmer allein zu sein, ist trotzdem ein bißchen unheimlich. Ich weiß, daß du nichts anhast, und ich soll auf der anderen Seite in dieses Bett steigen und . . .«
Ein leises rasselndes Schnarchen unterbrach ihre Ausführungen.
Sinjun mußte über sich selbst lachen. Da hatte sie nun ihren Seelenzustand offenbart — einem schlafenden Mann und dem Kleiderschrank! Sie ging leise zum Bett und betrachtete Colin. Er gehörte ihr, ihr allein, und niemand würde ihn ihr wegnehmen können, nicht einmal Douglas. Wie konnte jemand diesen Mann nur des Mordes an seiner Frau verdächtigen? Es war einfach Unsinn. Behutsam strich sie mit den Fingerspitzen über seine Stirn, die glücklicherweise kühl war, und dann küßte sie ihn auf die Wange.
Sinjun hatte in ihrem neunzehnjährigen Leben noch nie mit jemandem in einem Bett geschlafen, geschweige denn mit einem großen schnarchenden Mann, der in ihren Augen so vollkommen war, daß sie ihn am liebsten die restlichen Nachtstunden über unaufhörlich betrachtet, geküßt und gestreichelt hätte. Aber seltsam war es schon! Nun, sie würde sich bestimmt bald daran gewöhnen. Douglas und Alex schliefen immer in einem Bett zusammen, und Ryder und Sophie auch. Das war bei Ehepaaren offenbar üblich. Ihre Eltern hatten allerdings getrennte Schlafzimmer gehabt, und wenn Sinjun ganz ehrlich sein wollte, hätte auch sie mit ihrer Mutter nicht ein Bett teilen mögen. Sie kroch unter die Decke, und obwohl sie gut einen halben Meter Abstand wahrte, spürte sie seine Körperwärme.
Auf dem Rücken liegend, tastete sie nach seiner Hand, stieß aber statt dessen an seine Hüfte. Er war nackt, seine Haut glatt und warm. Sie widerstand der Versuchung, jene Körperpartie näher zu erkunden, weil sie es unfair fand, seinen Schlaf auszunutzen, sie schlang ihre Finger durch die seinen und schlief erstaunlicherweise sofort ein.
Als sie erwachte, stellte sie bestürzt fest, daß die Sonne hell durch das schmale Rautenfenster schien. Dabei hatten sie eigentlich vorgehabt, im Morgengrauen aufzubrechen. Aber andererseits brauchte Colin viel Schlaf, um wieder zu Kräften zu kommen, und ein Bett war der Kutsche, wo er durchgerüttelt wurde, natürlich vorzuziehen. Langsam drehte sie sich auf die Seite und betrachtete ihn, obwohl sie dabei ein etwas schlechtes Gewissen hatte. Er hatte im Schlaf die Decken abgeworfen. Sie hatte noch nie einen ganz nackten Mann gesehen und starrte fasziniert seinen Unterleib und das von dichtem schwarzem Haar umgebene Glied an. Auch seine langen, muskulösen Beine waren dicht behaart. Er war mehr als nur schön — einfach hinreißend, bis hin zu den Zehenspitzen. Sie konnte ihren Blick kaum von seiner Schamgegend wenden — bis sie den weißen Verband um seinen rechten Oberschenkel bemerkte.
Schlagartig fiel ihr sein starkes Hinken bei der Ankunft im Gasthof ein. Er war verletzt! Eigentlich hätte sie sich denken müssen, daß seine anhaltende Schwäche nicht nur von einer Erkältung herrühren konnte. Zu ihrer Sorge mischte sich Zorn. Warum zum Teufel hatte er ihr nichts erzählt?
Verdammt! Sie sprang aus dem Bett und zog ihren Morgenrock an. »Du Lump«, schimpfte sie leise vor sich hin, aber nicht leise genug. »Ich bin deine Frau, und du solltest mir vertrauen.«
»Du bist noch nicht meine Frau, und warum meckerst du an mir herum?«
Sein Kinn war mit schwarzen Bartstoppeln bedeckt, sein Haar zerzaust, aber seine Augen hatten einen wachsamen Ausdruck, und angesichts dieser tiefblauen Augen vergaß sie einen Moment lang, was sie eigentlich sagen wollte.
Colin bemerkte, daß er nackt war. »Deck mich bitte zu, Joan.«
»Erst wenn du mir erzählt hast, was dir zugestoßen ist. Wozu brauchst du diesen Verband?«
»Ich war so krank, weil irgendein Ganove mich mit dem Messer verwundet und ich Trottel keinen Arzt aufgesucht hatte. Und ich wollte nicht, daß du etwas davon erfährst, weil ich mir lebhaft vorstellen konnte, daß du ganz London auf den Kopf stellen würdest, um den Schurken zu finden und mir seinen Kopf auf einem Tablett zu servieren. Nachdem wir London aber inzwischen verlassen haben, bist du vor dir selbst in Sicherheit.«
Sie mußte insgeheim zugeben, daß er nicht unrecht hatte. Zweifellos wäre
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