Die Jungfernbraut
wund bist.«
»Du bist absichtlich grob, Colin, absichtlich unfreundlich und gemein.«
»Vielleicht, aber du bist jetzt in Schottland, und bald wirst du meine Frau sein und lernen müssen, daß du mir Treue und Gehorsam schuldig bist.«
»Als wir uns kennenlernten, warst du viel vernünftiger, und während deiner Krankheit warst du sogar ganz nett, wenngleich oft gereizt, weil du Schwäche haßt. Aber jetzt benimmst du dich einfach töricht. Ich werde dich heiraten, und jedesmal, wenn du dich in Zukunft töricht aufführst, werde ich etwas unternehmen, damit du es bedauerst.«
So, dachte sie, das dürfte die Fronten klären. Sie liebte ihn rasend — und weil er das wußte, nahm er sich soviel heraus —, aber sie würde nicht zulassen, daß seine Charakterschwächen oder seine altmodischen Ansichten über Männer und Frauen das Bild trübten, das sie sich von ihm machte.
Er lachte, und dieses tiefe, kraftvolle Lachen legte beredtes Zeugnis davon ab, daß er sich seines Wertes voll bewußt war und diesen Wert höher einschätzte als den des Mädchens, das neben ihm ritt. Er war wieder gesund und kräftig — und dank ihrer Mitgift glaubte er es mit der ganzen Welt auf nehmen zu können. »Ich freue mich schon auf diese Versuche, Joan, aber ich warne dich: ein schottischer Mann ist Herr im Haus, und er schlägt seine Frau, wie es übrigens auch deine wohlerzogene und liebenswürdigen Engländer gelegentlich tun.«
»Das ist absurd! Ich kenne keinen einzigen Mann, der gegen seine Frau die Hand erheben würde.«
»Du hast bisher ein sehr behütetes Leben geführt, Joan. Jetzt wirst du die harte Realität kennenlernen.« Er wollte ihr sagen, daß er sie mit Leichtigkeit in einer modrigen Kammer einschließen könnte, hielt dann aber doch lieber den Mund. Schließlich waren sie noch nicht verheiratet. Er salutierte ironisch und galoppierte davon.
Am nächsten Tag erreichten sie um drei Uhr nachmittags sein Haus am Abbotsford Crescent. Seit einer Stunde nieselte es, aber Sinjun bemerkte vor Aufregung nicht einmal, daß ihr Wasser in den Nacken lief. Sie waren durch die Royal Mile geritten, die genauso elegant wie die Bond Street war, und Sinjun hatte sich darüber gewundert, daß es hier genauso teure Geschäfte und genauso vornehme Damen und Herren gab wie in London. Dann waren sie nach links abgebogen. Das Kinross House stand etwa in der Mitte der halbmondförmigen Straße, ein großes Backsteinhaus mit drei Schornsteinen und grauem Schieferdach. Die schmalen Fenster waren bleiverglast, und es mußte mindestens zweihundert Jahre alt sein. »Es ist sehr schön, Colin«, sagte sie ehrlich, während sie abstieg. »Gibt es einen Stall für unsere Pferde?«
Sie versorgten die Tiere, bezahlten den Kutscher und luden ihre Truhen und Koffer aus. Sinjuns Mund stand nicht still. Ihre Blicke schweiften immer wieder zum Schloß auf dem Hügel hinüber, und sie erzählte Colin be-begeistert, daß sie es zwar von Gemälden kenne, daß es ihr aber nichtsdestotrotz fast die Sprache verschlage, diese mächtige Festung zu sehen, in grauen Nebel gehüllt. Colin lächelte amüsiert über ihren Enthusiasmus; er war müde, der Nieselregen deprimierte ihn, obwohl er seit seiner Kindheit daran gewöhnt war, und das Edinburger Schloß war zwar zweifellos sehr imposant, aber für ihn ein so vertrauter Anblick, daß er es kaum noch bewußt wahrnahm.
Die Tür wurde vom alten Angus geöffnet, der sein ganzes Leben im Dienst der Familie Kinross verbracht hatte. »Oh, Mylord!« rief er. »Du lieber Himmel! Und die junge Frau ist bei Ihnen, wie ich sehe! Um so schlimmer, um so schlimmer!«
Colin stand wie angewurzelt da, erfüllt von düsteren Ahnungen. Trotzdem fragte er: »Woher weißt du, daß ich eine junge Frau habe, Angus?«
»O Gott, o Gott!« jammerte Angus, während er an den langen weißen Haarsträhnen zupfte, die sein rundes Gesicht umrahmten.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich ohne Einladung dein Haus betreten habe. Dein Diener wollte mich nicht über die Schwelle lassen, aber ich ließ mich nicht abwimmeln«, sagte Douglas, der plötzlich hinter Angus aufgetaucht war und hämisch grinste. »Komm rein, du verdammter Bastard! Nur hereinspaziert. Was dich betrifft, Sinjun, so wirst du bald meine Hand zu spüren bekommen.«
Sinjun lächelte ihrem wütenden Bruder zu, auch wenn es ihr schwerfiel. Sie war keineswegs überrascht, ihn hier zu sehen — ganz im Gegensatz zu Colin, dem die Verblüffung im Gesicht
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