Die Jungfernbraut
Miene war nicht gespielt. Also war es offenbar doch nur ein Zufall gewesen. Lachend verscheuchte er eine Fliege vom Hals seines Hengstes. »Vielleicht . . . Ich versuche, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen.« »Aber warum sollten Sie Colin töten wollen?«
»Er ist ein Mörder. Er hat meine Schwester umgebracht. Ihr den Hals gebrochen und sie von einer Felsklippe geworfen. Ist das nicht ein ausgezeichnetes Motiv?«
»Haben Sie Beweise für diese Beschuldigung?«
Er lenkte seinen Hengst näher an ihre Stute heran, die nervös den Kopf zurückwarf und die Augen rollte.
Sinjun beruhigte Fanny und redete sanft auf sie ein, ohne Robert MacPherson zu beachten.
»Ich verstehe nicht, warum Sie keine Angst vor mir haben. Sie befinden sich in meiner Gewalt. Vielleicht werde ich Sie vergewaltigen und schwängern.«
Sie legte den Kopf schief. »Wissen Sie was — Sie hören sich wie ein Schmierenkomödiant an. Es ist schon sehr komisch . . .«
Robert MacPherson war verdutzt. »Verdammt, was soll hier komisch sein?«
Sinjun blickte nachdenklich drein. »Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt. Wahrscheinlich ist das oft der Fall. Sie dachten, ich sei eine Hexe, und ich dachte, Sie sähen so ähnlich wie Colin oder vielleicht wie MacDuff aus — den kennen Sie doch bestimmt auch. Aber Sie sind ...« Sinjun verstummte mitten im Satz. Hübsch war für einen Mann nicht gerade ein Kompliment, auch nicht anmutig oder elegant.
»Was bin ich?«
»Sie scheinen ganz nett zu sein . . . Ein Gentleman, trotz Ihrer gemeinen Bemerkungen.«
»Ich bin alles andere als nett.«
»Sah Ihre Schwester Ihnen ähnlich?«
»Fiona? Nein, sie war so dunkel wie eine Zigeunerin, aber bildschön, einfach traumhaft schön. Ihre Augen waren so blau wie dieser See im Winter und ihre Haare so schwarz wie die Nacht. Warum? Sind Sie auf eine Tote eifersüchtig?«
»Nein, nur neugierig. Wissen Sie, Tante Arleth — Miss MacGregor — erzählt, Fiona hätte sich in Malcolm verliebt und Colin betrogen, und deshalb hätte Colin sie umgebracht. Das kommt mir seltsam vor, denn Colin ist der vollkommenste Mann auf der ganzen Welt. Welche Frau könnte schon einen anderen Mann wollen, wenn er ihr Ehemann wäre? Halten Sie das für möglich?«
»Ha, ein vollkommener Mann! Er ist ein Bastard, ein mörderischer Bastard! Verdammt, Fiona liebte nur ihren Ehemann. Sie wollte nur ihn, seit sie fünfzehn war, ihn und keinen anderen, bestimmt nicht Malcolm, obwohl er sie begehrte. Unser Vater plädierte für Malcolm, weil dieser einmal den Grafentitel erben würde, aber Fiona wollte davon nichts hören. Sie trat in den Hungerstreik, bis Vater nachgab. Sie bekam Colin, aber ihr Glück währte nicht lange, weil sie rasend eifersüchtig war und ihn ständig der Untreue bezichtigte. Sobald er eine andere Frau auch nur ansah, fing Fiona zu zetern an und drohte, ihm die Augen auszukratzen. Sogar ich kann verstehen, daß diese ungesunde Eifersucht ihm auf die Nerven ging, aber er hatte trotzdem nicht das Recht, sie einfach zu ermorden und dann zu behaupten, er könne sich an nichts mehr erinnern. Absurd.«
»Das alles ist sehr verwirrend, Mister MacPherson. Jeder erzählt mir eine andere Geschichte. Außerdem verstehe ich nicht, wieso Fiona glauben konnte, daß Colin sie betröge. So etwas täte er niemals.«
»Blödsinn! Natürlich hat er mit anderen Frauen geschlafen. Fiona war ursprünglich so charmant und lebensprühend, daß sie jeden Mann um den Verstand brachte, und Colin war stolz darauf, eine so begehrenswerte Frau sein eigen nennen zu können, aber nur in der ersten Zeit. Als sich ihre Eifersucht dann sogar auf alle Dienstmädchen von Vere Castle ausdehnte, ging er mit anderen Frauen ins Bett, um Fiona zu bestrafen. Aber er kam nicht von ihr los. Sie hat mir erzählt, daß seine Leidenschaft manchmal geradezu beängstigend war. Fiona war eine Hexe, eine eifersüchtige Hexe, und obwohl er sie zuletzt verabscheute, begehrte er sie wahnsinnig, und umgekehrt genauso. Aber jetzt ist sie tot, weil er sie satt hatte und umbrachte. Ich mußte mit der Vergeltung warten, weil mein Vater Colin für unschuldig hielt. Aber er ist ein alter Mann und wird allmählich wirr im Kopf. Sein Diener hat mir erzählt, daß er stundenlang von längst vergangenen Zeiten faselt, von Kämpfen und Fehden. Bald werde ich der Gutsherr sein, aber schon jetzt tue ich, was ich will. Ich habe Vere Castele tagelang beobachtet. Natürlich weiß ich, daß Colin in Edinburgh auf mich wartet,
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