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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Nachthemd an.
    Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war er erwartungsgemäß nicht mehr da.
    Sinjun lächelte, als die große Standuhr im Erdgeschoß zwölfmal schlug. Mitternacht! Nun würde es bestimmt nicht mehr lange dauern.
    Sie hatte sich nicht geirrt. Kaum zehn Minuten später hörte sie die leisen schabenden und kratzenden Geräusche, so als würden Ratten hinter der Wandtäfelung umherhuschen. Dann folgten das wohlbekannte Stöhnen und das Klirren der Ketten.
    Langsam setzte sie sich im Bett auf, zählte bis fünf und schrie angsterfüllt: »Oh, bitte hör auf, bitte, bitte! O mein Gott, hilf mir, rette mich!« Dann stöhnte sie laut. »Ich kann es nicht ertragen, ich werde diesen verwünschten Ort verlassen müssen. Nein, Perlen-Jane, nein!«
    Die Geräusche verstummten.
    Eine Stunde später schlüpfte sie lächelnd aus dem Bett.
    Philip zuckte im Schlaf. Er träumte von einer großen Forelle, die er vergangene Woche im Loch Leven geangelt hatte, als er mit Murdock dem Buckligen dort gewesen war. Im Traum wurde die Forelle immer größer, und ihr Maul war jetzt schon so breit wie eine offene Tür. Dann knuffte Murdock ihn und sagte ihm, welch ein guter Angler er sei, und die Stimme des Buckligen wurde immer leiser und . . .
    Plötzlich waren Murdock und die Forelle verschwunden, und er lag wieder in seinem Bett, aber er war nicht allein. Weiche Finger berührten seinen Nacken, aber es waren nicht mehr Murdocks Finger, und eine sanfte Stimme — nicht Murdocks Stimme! — sagte: »Du bist ein kluger Junge, Philip, so klug und so lieb. O ja, ein guter Junge.«
    Er setzte sich rasch auf, und dicht neben seinem Bett stand mit ausgestreckter Hand eine Tote.
    Sie hatte langes, fast weißes Haar und trug ein weites weißes Gewand. Sie war jung und schön, aber sie sah unheimlich aus. Ihre Hand war nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, und ihre toten Finger waren noch weißer als ihr Kleid.
    Philip schluckte, stieß einen gellenden Schrei aus und zog sich die Decken über den Kopf. Es war ein Alptraum, weiter nichts, die Forelle hatte sich einfach in ein Gespenst verwandelt. Trotzdem vergrub er das Gesicht im Kissen und hielt die Decken krampfhaft umklammert.
    »Philip, ich bin die Jungfräuliche Braut«, murmelte die sanfte Stimme. »Deine Stiefmutter hat dir von mir erzählt. Ich beschütze sie, Philip. Eure Perlen-Jane fürchtet sich vor mir. Ihr gefällt es nicht, daß du und Dahling versucht, Sinjun Angst einzujagen.«
    Die Stimme verstummte, aber Philip lag regungslos da, und erst als er zu ersticken glaubte, stellte er unter den Laken vorsichtig einen schmalen Luftkorridor zum Bettrand her.
    Erst bei Tagesanbruch traute er sich unter den Decken hervor. Trübes Morgenlicht fiel ins Zimmer. Keine Spur mehr von der Jungfräulichen Braut.
    Sinjun ging ihren üblichen Pflichten nach, nach außen hin heiter und lächelnd, obwohl sie sehnlichst wünschte, daß Tante Arleth in einen tiefen Brunnen fallen möge. Colin war seit vier Tagen fort, und sie kochte vor Wut.
    Sie fühlte sich sehr versucht, nach Edinburgh zu reiten, aber vielleicht hielt er sich zur Zeit in Clackmannanshire oder Berwick auf. Dieser gottverfluchte Kerl!
    Glücklicherweise trafen am späten Vormittag endlich ihre Sachen und ihre Stute ein, und sie tanzte wie ein Kind umher, küßte sogar vor Aufregung und Freude James, einen der Stallmeister von Northcliffe Hall, und umarmte die drei Stallknechte, die ihn begleiteten. In Northcliffe Hall waren alle wohlauf, auch die Grafenwitwe, Sinjuns Mutter, die — James zufolge — allerdings ein wenig niedergeschlagen war, weil sie jetzt an niemandem mehr herumerziehen konnte. James übergab Sinjun viele Briefe und war sehr erfreut, in Vere Castle übernachten zu können, zumal Dulcie ihn anlächelte, als wäre er ein Prinz.
    Nachdem Sinjun ihn und die drei anderen Männer am nächsten Morgen verabschiedet hatte — natürlich gab sie ihnen Briefe an ihre Familie mit und füllte ihre Satteltaschen mit Reiseproviant —, ging sie in den Stall und sattelte Fanny ausnahmsweise selbst.
    »Das is 'ne schöne Stüte«, sagte Murdock, und der Zweiundzwanzigjährige Ostle stimmte ihm begeistert zu. George II, ein Mischling von undefinierbarer Rasse, bellte das neue Pferd wütend an, dessen Geruch er noch nicht kannte, und Crocker, sein Herr, beschimpfte den Hund in einer so bildhaften Sprache, daß Sinjun sich fest vornahm, bei ihm Unterricht zu nehmen.
    Es war ein warmer sonniger Tag, und sie ritt

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