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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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hatten, daß die festgesetzte Zeit verstrichen war und ihre Mühen wenig Aussicht auf Erfolg haben würden, kehrten sie resigniert nach Bromfield zurück.
    Der Pförtner hatte, damit die Suchenden sich nicht selbst verirrten, im Schutz des Torbogens frische Kieferfackeln aufgesteckt und von Zeit zu Zeit ließ er als zusätzliche Orientierungshilfe die Glocke läuten. Schneebedeckt, müde und mit leeren Händen kamen die Männer zurück. Bevor er zu Bett ging, nahm Cadfael an der Frühmette und der Laudes teil. Die Regeln des klösterlichen Lebens durften nicht ganz und gar gebrochen werden, selbst wenn es darum ging, das Leben Unschuldiger zu retten. Vor Morgengrauen konnte nichts unternommen werden. Jedenfalls nicht von Menschen. Aber Gott wußte, wo die Vermißten waren und es konnte nicht schaden, ihn um Hilfe zu bitten und die Unzulänglichkeit menschlichen Strebens zuzugeben.
    Er erwachte, als die Glocke zur Prim rief und ging mit den anderen durch die winterliche Dunkelheit in die kalte Kirche.
    Wie seit Tagen schon hatte der Schneefall mit dem ersten Morgengrauen aufgehört und ehe es noch richtig hell wurde, gab das Licht, das von den weißen Flächen reflektiert wurde, allen Dingen ein blasses, geisterhaft durchscheinendes Aussehen. Nach der Messe bahnte Cadfael sich allein einen Weg zum Torhaus. Die Welt um ihn herum war eine weiße Wüste, aus der die schwarzen Umrisse von Mauern und Gebäuden herausragten, aber der Pförtner hatte voller Hoffnung seine Fackeln im Torbogen brennen lassen, und sie warfen ihr warmes, rötliches Licht auf das Mauerwerk und die Welt dort draußen. Um eine abgebrannte Fackel zu ersetzen, war er durch die in das große Tor eingesetzte Tür hinausgetreten, und als Cadfael das Torhaus erreichte, war der Pförtner gerade wieder hereingekommen und schüttelte im Schutz des gewölbten Ganges den Schnee von den Kleidern, bevor er die Tür wieder hinter sich schloß.
    So kam es, daß der Pförtner der Welt dort draußen den Rücken kehrte und nur Cadfael bemerkte, was sich dort tat. Die eingesetzte Tür war ziemlich hoch, um auch Berittene durchzulassen und der Pförtner war klein und schmächtig und bückte sich gerade, um seine Kutte vom Schnee zu befreien.
    Hinter ihm, nicht weit vor dem Tor, tauchten aus dem Zwielicht unversehens zwei Gesichter im flackernden Schein der Fackeln auf. Cadfael konnte sie deutlich erkennen. Ihr plötzliches Erscheinen und ihre Schönheit raubten ihm einen Augenblick lang den Atem. Es schien, als habe ein Wunder sie dorthin gezaubert. Aber dies waren keine Besucher aus einer anderen Welt - sie waren gewöhnliche Menschen aus Fleisch und Blut.
    Das Mädchen hatte die Kapuze zurückgestreift, sodaß der wilde Schöpf ihrer dunklen Haare im rötlichen Licht schimmerte.
    Sie hatte eine hohe, faltenlose Stirn, geschwungene schwarze Augenbrauen und große, dunkle Augen, die zu sehr leuchteten, um schwarz sein zu können, sondern eher von einem dunklen, rötlichen Braun sein mußten. Trotz ihrer einfachen, bäuerlichen Kleidung waren die Haltung ihres Kopfes und die gebieterische Geradheit ihres Blickes von einer Art, um die Königinnen sie beneidet hätten. Die feingeschnittenen Backenknochen, die vollen, ausdrucksstarken Lippen und das energische Kinn gaben ihrem Gesicht etwas so Ebenmäßiges, daß Cadfael es in Gedanken mit seinen Fingerspitzen liebkoste, wie früher so manches andere Gesicht. Alte Erinnerungen stiegen in ihm auf, und er erschauerte.
    Das andere Gesicht war hinter und über ihrer linken Schulter, seine Wange berührte fast ihre Augenbraue. Sie war hochgewachsen, aber der Mann hinter ihr war größer als sie und beugte sich schützend und wachsam über sie, um sein Gesicht dicht an das ihre zu bringen. Es war lang und offen, mit einer hohen Stirn, einer schmalen Nase, einem feingeschwungenen Mund und den großen, furchtlosen, golden blitzenden Augen eines Falken. Sein edel geformter Kopf war mit dichtem, blauschwarzem Haar bedeckt, das sich an den Schläfen kräuselte. Cadfael stellte sich dieses Gesicht mit einem spitzen Kinnbart und einem Schnurrbart über diesem noblen Mund vor. Genau so hatten die stolzen Syrer in ihren Rüstungen ausgesehen, die ihre Truppen zum Angriff führten, damals, vor Antiochia. Dieses Gesicht hatte dieselbe dunkle Farbe, dieselbe kantige Form, so als sei es aus Bronze gegossen, aber es war nach normannischer Art glattrasiert, das dichte Haar war geschnitten, und der Mann trug, wie die Bauern dieser Gegend,

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