Die Jungfrau Im Eis
erdbraune Kleidung aus einem groben, handgesponnenen Stoff.
Nun ja, das gab es - das Aufblitzen göttlichen Geistes: die Unglücklichen, Begnadeten, in eine Welt geboren, in der sie keinen Platz hatten; die Heiligen und Gelehrten, die als Hirten die Schweine im Wald mit Eicheln mästeten; die Soldatenkönige, die als jüngste Söhne in einer Familie von leibeigenen Hungerleidern zur Welt kamen und als Kinder die Krähen von den Feldern verjagen mußten. Und woanders zog man in Königspalästen dumpfe Sklaven-Bastarde heran, die an die Macht gelangten, so unwürdig sie dessen auch sein mochten und über Männer herrschten, die tausendmal mehr wert waren als sie.
Aber dieser hier würde nicht scheitern. Man brauchte nur einen Blick auf die golden blitzenden Augen unter den schwarzen Wimpern zu werfen, um sicher zu sein, daß der Wille, der sich in ihnen verbarg, ihm den Weg ebnen würde, wohin er sich auch wenden mochte.
Dies alles geschah in den wenigen Sekunden, in denen der Pförtner den Schnee von seiner Kutte schüttelte. Im nächsten Augenblick schon war er eingetreten und hatte die Tür hinter sich geschlossen, gerade als die beiden jungen Menschen wenige Schritte hinter ihm auf das Tor zugingen, in der offenbaren Absicht, um Einlaß zu bitten.
Bruder Cadfael schloß die Augen, öffnete sie hoffnungsvoll wieder und schloß sie abermals, um die eben gesehenen Bilder, die beinahe eine Sinnestäuschung hätten sein können, noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen.
Was für Träume konnten einen heimsuchen im trügerischen Zwielicht eines bitterkalten Wintermorgens, und noch dazu hier, wo die Fackeln ein angenehmes, warmes Licht verbreiteten!
Er hatte erst drei weitere Schritte durch den tiefen Schnee getan und der Pförtner wollte gerade die Tür zu seiner Kammer öffnen, als am Tor geläutet wurde.
Verdutzt wandte der Pförtner sich um. Er war zunächst damit beschäftigt gewesen, neue Fackeln in die Halter an der Wand zu setzen und hatte sich dann beeilt, wieder in den Windschatten des Tores zu kommen, und so hatte er in der Dunkelheit draußen nichts bemerkt. Erst als er sich zum Tor umgewandt hatte, waren die beiden - wenn sie nicht bloße Erscheinungen waren! - in den Lichtkreis der Fackeln getreten.
Er zuckte ergeben die Schultern und stapfte zurück zu dem vergitterten Fensterchen, durch das er sehen konnte, wer vor der Tür stand. Was er dort sah, schien ihn sogar noch mehr in Erstaunen zu versetzen, aber er zögerte keinen Augenblick: der große Riegel wurde zurückgeschoben und die hohe Tür schwang auf.
Dort stand sie, hochgewachsen, bescheiden und dennoch selbstbewußt, in einem zu großen, verblichenen Gewand aus braunem, handgewebten Stoff und einem kurzen, groben Umhang, dessen ausgefranste Kapuze sie von ihrem Kopf gestreift hatte, so daß das dunkle Haar ihr bis auf die Schultern fiel. Der kalte Wind hatte ihre Wangen gerötet, aber sonst war ihre Haut weiß und glatt wie Elfenbein.
»Darf ich eintreten und für eine Weile bei Euch Zuflucht suchen?« sagte sie mit sanfter Stimme und demütigem Gesicht. Die ruhige Selbstsicherheit, die aus ihrer Haltung sprach, konnte sie jedoch nicht verbergen. »Durch Kälte, Mißgeschick und die Wirren des Krieges komme ich allein. Ich glaube, Ihr habt bereits nach mir gesucht. Mein Name ist Ermina Hugonin.«
Während der Pförtner sie aufgeregt in seine Kammer führte und sich beeilte, Prior Leonard und Hugh Beringar davon in Kenntnis zu setzen, daß das vermißte Mädchen am Tor des Klosters aufgetaucht sei, verlor Bruder Cadfael keine Zeit und trat hinaus auf die Straße, um einen Blick auf die Umgebung zu werfen. Aber dort war allem Anschein nach keine Menschenseele. In der Nähe standen Dickichte und Gehölze, in denen ein junger, behender Mann geschwind untertauchen konnte, und entweder war ihr Begleiter dort verschwunden oder der Falke hatte sich in die Luft geschwungen und war davongeflogen. Was die Spuren im Schnee anbelangte, so waren schon zu dieser frühen Stunde einige Bauern am Tor des Klosters vorbeigegangen, die Schafe auszugraben oder Vieh zu füttern hatten, und wie sollte man die Spuren eines bestimmten Mannes unter denen der anderen finden? Wenn sie auch nicht die volle Wahrheit gesagt hatte, so hatte sie doch nicht gelogen: ins Kloster war sie allein gekommen. Aber obwohl nur eine geläutet hatte, um eingelassen zu werden, hatten zwei sich dem Tor genähert.
Aber warum sollte ein Mann, der ein vermißtes
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