Die Jungfrau Im Eis
schon recht gut zu kennen.
»Geh auf dem schnellsten Weg zur Gästehalle«, befahl er dem jungen Mönch, »und berichte Hugh Beringar, was geschehen ist. Sieh nach, ob sie nicht dort sind. Ich werde Prior Leonard benachrichtigen und dann werden wir das ganze Haus absuchen.«
Leonard nahm die Neuigkeiten mit Bestürzung auf und ließ das ganze Kloster, die Wirtschaftsgebäude und auch die Scheune sofort von seinen Mönchen durchsuchen. Hugh Beringar erschien, angetan mit Stiefeln und Umhang, in resignierter Erwartung des Schlimmsten und war gegenüber jedem, der ihm begegnete, kurz angebunden. Nun, da die Vertreter der weltlichen wie der kirchlichen Macht sich der Sache angenommen hatten, dauerte die Suche nicht lang. Sie blieb erfolglos.
»Es ist alles nur meine Schuld«, sagte Cadfael bitter. »Ic h habe den armen Kerl einem Jungen anvertraut, dem es nicht viel besser ging. Ich hätte es ahnen können. Aber ich verstehe nicht, wie es dazu kommen konnte und was sie getrieben hat.
Ich hätte jedoch mit allen beiden nicht das kleinste Risiko eingehen dürfen. Die beiden verzweifeltsten Menschen in diesem Haus... man hätte sie ständig im Auge behalten sollen und nun sind sie durch meine Torheit beide verschwunden.«
Beringar war bereits dabei, die Männer auszuschicken, die er ins Kloster mitgenommen hatte.
»Einer reitet nach Ludlow, bis zum Stadttor. Vielleicht sind sie dort - wenn nicht, so soll man sie, wenn sie später dort vorbeikommen, in Obhut nehmen. Und du reitest mit ihm, aber nur bis zur Burg. Dort nimm dir zehn Männer und warte mit ihnen auf mich am Stadttor. Wecke auch Dinan, er soll mitkommen. Der Junge ist der Sohn eines Mannes, den er gekannt haben muß und der Neffe von einem, mit dem er schon bald Bekanntschaft machen könnte. In diesem Wetter werde ich keine Männer riskieren, indem ich sie weiter als eine Meile ausschicke, jedenfalls nicht allein. Aber ich glaube nicht, daß die beiden weit gekommen sind.« Entschlossen wandte er sich Cadfael zu und schlug ihm hart auf die Schulter. »Und Ihr, mein Lieber, hört besser auf, diese überheblichen Dummheiten von Euch zu geben! Der Mann schien ruhig und fügsam, und der Junge mußte beschäftigt werden und war, wie Ihr sehr gut wißt, durchaus vertrauenswürdig. Wenn wir sie jetzt noch einmal suchen müssen, so ist das nicht Eure Schuld. Maßt Euch nicht an, an Gottes Stelle Lob und Tadel zu verteilen, selbst wenn Ihr den Tadel auf Euer eigenes Haupt ladet. Auch das ist eine Art von Hochmut. Doch nun kommt! Wir wollen sehen, ob wir die beiden nicht aus dieser kalten Hölle heimführen können. Aber ich sage auch Euch, was ich meinen Männern in Ludlow sagen werde: entfernt Euch nicht zu weit, bleibt in Verbindung und kehrt möglichst genau nach einer Stunde um. Ich will in diesem Schneesturm nicht noch weitere Männer verlieren. Wenn wir bis zum Morgengrauen nichts gefunden haben, werden wir verstärkt weitersuchen.«
Nach diesen Anweisungen traten sie hinaus in den Sturm, um, immer zu zweit, nach den Vermißten zu suchen. Der Gedanke, daß diese ebenfalls zu zweit gegangen waren, stellte, zumindest für Cadfael, einen schwachen Trost dar. Ein Mann allein konnte aufgeben und sich der Kälte und dem Tod überlassen, während zwei sich stützen, einander helfen und das Durchhaltevermögen stärken konnten. Unter widrigen Bedingungen ist die größte Hilfe zum Überleben die Gegenwart eines anderen Menschen.
Cadfael hatte sich Beringars ungeduldige Ermahnung zu Herzen genommen und schöpfte Zuversicht daraus. Es war nur zu einfach, sich von ehrlich gemeinter Sorge um einen geliebten Menschen in das überhebliche Gefühl hineinzusteigern, daß man die Aufgabe und die Pflicht eines Beschützers vor allen Gefahren habe - und damit maßte man sich eine Stellung an, die allein Gott vorbehalten war. Sich vorzuwerfen, daß man nicht unfehlbar sei, bedeutete, sich zum Gott aufzuschwingen. Nun gut, dachte Cadfael, der sich immer gern belehren ließ, vielleicht ein etwas sophistisches Argument, aber es könnte sein, daß ich es eines Tages noch einmal selber anführen kann. Ich werde es mir merken!
Blindlings stolperte er, einen stämmigen jungen Novizen neben sich, nordwärts über den Corve. Sie tasteten sich durch das kalte, weiße Wirbeln und Cadfael wußte, daß es sinnlos war. Sie mochten noch so gründlich in den Schneewehen stochern - gegen dieses Unwetter, das alles mit einem weißen Tuch zudeckte, waren sie machtlos.
Als sie das Gefühl
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