Die Jungfrau Im Eis
in dieser Finsternis, schien das, was zwischen ihnen war, sie noch stärker aneinander zu binden. Der knieende Mann flüsterte fast unhörbar vor sich hin und wenn auch die Worte nicht zu verstehen waren, so war die Verzweiflung, die in ihnen mitschwang, nur zu deutlich.
Tastend stellte Yves fest, daß neben ihm ein Heuhaufen war.
Er legte einen Arm um die angespannten Schultern und versuchte, Elyas aufs Lager zu ziehen, aber er hatte lange zu kämpfen. Endlich entspannte sich der sehnige Körper des Mönches und sank, ob aus Erschöpfung oder aus Gehorsam dem Flehen des Jungen gegenüber, mit einem erstickten Stöhnen in sich zusammen. Elyas lag lang hingestreckt auf dem Bauch, sein Kopf ruhte auf seinen Armen, und Yves häufte rechts und links von ihm Heu auf, um wenigstens seine Körperwärme zu bewahren. Dann legte er sich neben ihn. Nach einer Weile hörte er an dem tiefen, regelmäßigen Atmen, daß Elyas schlief.
Die Arme um ihn geschlungen und entschlossen nicht zu schlafen schmiegte Yves sich dicht an ihn. Er war müde, er fror und er mußte nachdenken, aber er war wie betäubt und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er wollte sich nicht an die Worte erinnern, die Bruder Elyas gesprochen hatte und noch weniger wollte er wissen, was sie bedeuteten, denn was immer es auch sein mochte - es mußte schrecklich sein. Alles, was er für diesen gebrochenen Mann tun konnte, für den er die Verantwortung übernommen hatte und zu dem er eine so seltsame, beharrliche Zuneigung empfand, war, dafür zu sorgen, daß er nicht wieder aufspringen, hinausgehen und sich verlaufen konnte. Und im Morgengrauen mußte er losgehen und Hilfe holen. Und dazu mußte er wach bleiben.
Dennoch war er beinahe eingedöst, als er plötzlich von einer Stimme neben sich hochgeschreckt wurde. Elyas flüsterte jetzt nicht mehr, aber die Arme, auf denen sein Gesicht ruhte, dämpften seine Worte.
»Schwester... meine Schwester... vergib mir meine Schwäche, meine Todsünde - mit der ich deinen Tod auf mich geladen habe!« Und nach einer langen Pause: »Hunydd... sie war wie du, genauso warm und vertrauensvoll in meinen Armen... ein halbes Jahr Hunger und dann plötzlich dieses Sehnen - ich konnte es nicht ertragen, dieses Brennen in Leib und Seele!«
Die Arme um Elyas geschlungen, unfähig sich zu rühren und unfähig wegzuhören, lag Yves da.
»Nein, vergib mir nicht! Wie kann ich es wagen, darum zu bitten? Soll die Erde sich öffnen und mich verschlingen... ich bin verzagt, wankelmütig, unwürdig!«
Noch eine Pause, länger diesmal. Bruder Elyas schlief, und im Schlaf sprangen ihn die nun gnadenlos erinnerten Bilder an und ließen ihn gequält aufschreien. Er warf sich hin und her.
Noch nie hatte Yves einem solchen Schrecken gegenübergestanden und noch nie hatte er ein so bedingungsloses Mitleid empfunden.
»Sie hat sich an mich geschmiegt... sie empfand gar keine Furcht! Gnädiger Gott - ich bin ein Mann aus Fleisch und Blut, ich habe eines Mannes Körper und Begierden!« rief Bruder Elyas mit einem unterdrückten Schmerzensschrei. »Und sie, die mir vertraut hat, ist nun tot...«
8. Kapitel
Nach der Komplet wollte Bruder Cadfael noch einmal nach Elyas sehen. Er war in Begleitung eines jungen Bruders, der Yves ablösen sollte. Die Tür stand weit offen, das Bett war zerwühlt, das Zimmer leer.
Natürlich mochte es noch andere, weniger dramatische Erklärungen dafür geben als die, die sich ihm aufdrängte, aber Cadfael eilte geradewegs wieder zur Außentür und suchte im Hof nach Spuren, auf die er vorhin nicht geachtet hatte. Nach der Komplet hatten zahlreiche Füße dort ihre Abdrücke hinterlassen, und auch sie füllten sich schnell wieder mit neuem Schnee, aber man konnte immer noch sehen, daß jemand vom Krankenquartier zum Torhaus gegangen war. Die Spuren waren bloße Tupfer in der glatten, weißen Fläche, aber sie waren zu erkennen. Und auch der Junge war verschwunden!
Was mochte nur im Krankenzimmer vorgefallen sein, das Bruder Elyas nach seiner langen Teilnahmslosigkeit zu einer so unvernünftigen und gefährlichen Tat veranlaßt hatte? Wenn ihm in seinem verwirrten Kopf der Gedanke gekommen war, er müsse etwas Drastisches unternehmen, dann war ein Halbwüchsiger gewiß nicht in der Lage ihn aufzuhalten und sehr wahrscheinlich würde es Yves' Stolz nicht zulassen, jemanden im Stich zu lassen, für den er, und sei es auch noch so kurz, die Verantwortung übernommen hatte. Cadfael hatte mittlerweile das Gefühl, Yves
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