Die Jungfrau im Lavendel
Du wärst ganz allein auf dich gestellt. Meine Frau wird dich nie im Haus und in der Familie dulden. Und du bist immerhin an Schutz und Geborgenheit gewöhnt.«
»Warum kann sie mich denn nicht leiden? Sie kennt mich doch gar nicht«, sagte Virginia leise.
»Vielleicht werde ich dir einmal später erklären, warum das so ist. Obwohl natürlich, da hast du ganz recht, soweit es meine Frau betrifft, besteht eigentlich wirklich kein Anlaß …« Er verstummte, selbst überrascht. Warum eigentlich hatte Mechthild immer diese unnachgiebige Haltung dem Mädchen gegenüber gezeigt? Sie war doch nicht gekränkt worden. War es nur Geiz? Oder war es das, was sie einmal zu Beginn ihrer Ehe so ausgedrückt hatte: In meiner Familie darf es keine Unsauberkeit geben.
Und er? Hatte er damals nicht zugestimmt?
Was würde Mechthild wohl dazu sagen, wenn sich herausstellte, daß dieses kleine unscheinbare Ding, das ihm hier gegenübersaß, eines Tages möglicherweise eine reiche Erbin sein würde? Er schob die Hand unter die Jacke, zu seiner Brieftasche. Darin befand sich der Brief. Er begann mit den Worten: Mein liebes Kind …
Virginia hielt das Gesicht geneigt, die Schatten auf ihren Wangen vertieften sich. Es gab da irgendein Geheimnis, und es hing mit ihrer Mutter zusammen. Es war ein so schreckliches Gefühl, dieser unverdiente Haß, der ihr entgegenschlug und sie bei der Kehle packte, würgend, bösartig. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
Sie legte die Hand um den Hals, spürte die Kette.
»Darf ich hineingehen? Ich möchte mich gern einmal im Spiegel ansehen. Wegen der Kette.«
»Natürlich kannst du hineingehen. Aus welchem Grund auch immer. Du brauchst mich nicht um Erlaubnis zu fragen.«
Sie blickte nicht auf, er sollte nicht sehen, daß in ihren Augen Tränen standen. Rasch erhob sie sich und ging mit gesenktem Kopf über die Terrasse, zu der Tür, die ins Haus führte.
Der Fremde
An einem Tisch an der Wand der Terrasse, direkt neben der Tür, die in das Innere des Lokals führte, saß allein ein Mann, braungebrannt, dunkles Haar, eine große Sonnenbrille vor den Augen. Dennoch war es unübersehbar, daß es sich um einen außerordentlich gutaussehenden Mann handelte. Er ließ die Zeitung sinken, als Virginia vorbeiging, doch sie bemerkte ihn nicht.
Er hatte sie zuvor schon lange beobachtet, sie saß genau in seiner Blickrichtung, und er hatte den Platz mit Bedacht so gewählt, als er auf die Terrasse kam. Die Übergabe der Kette hatte er versäumt, Kaffee und Kuchen jedoch miterlebt. Seine Gedanken glichen denen des Mannes, der mit ihr am Tisch saß. Hatte sie Ähnlichkeit mit Anita?
Sein erster Eindruck: Nicht im geringsten, eine bläßliche, fade Klosterpflanze, kein Vergleich mit Anitas strahlendem Charme, ihrem selbstbewußten Auftreten, ihrer immer noch eindrucksvollen Erscheinung.
Doch nach längerem Hinschauen fand auch er gewisse Ähnlichkeiten; die Form des Gesichts, die Augen, der Mund – die Frisur war natürlich unmöglich, und von dem Kleid sprach man besser nicht. Aber dafür konnte die Kleine nichts, das lag an den seltsamen Umständen ihres Daseins. Außerdem bestand ja nicht der geringste Anlaß dafür, daß sie ihm gefiel, er mußte ihr gefallen, so rollte die Kugel richtig.
Das dachte er wörtlich, denn er war ein leidenschaftlicher Spieler, und seit er dank Anita über reichlich Geld verfügte, fand er sich noch öfter als früher im Casino ein. Oft mit ihr zusammen, denn Anita liebte das Spiel auch, und meistens gewann sie. Sie hatten sich auch im Casino von Monte Carlo kennengelernt, das war vor zwei Jahren. Er hatte kurz zuvor seine Stellung im ›Negresco‹ aufgegeben, das strenge Reglement in dem altrenommierten Hotel behagte ihm nicht, er war ohne Arbeit, hatte viele Schulden und versuchte es wieder einmal mit dem Spiel. An diesem Abend hatte er Glück, er gewann diese Frau. Er hatte sie zuvor schon über den Roulettetisch hinweg beobachtet, wie sie achtlos die Jetons zusammenschob, die sich vor ihr häuften. Sie trug ein jadegrünes Abendkleid, silberne Träger über den noch makellosen Schultern, nur ihr Hals und die Augenpartie verrieten, daß sie eine Frau an die Fünfzig war.
Sie war allein, und als sie schließlich aufstand, folgte er ihr, sprach sie an, auf englisch zunächst, da er annahm, sie sei Amerikanerin.
Er wußte, daß er fabelhaft aussah im Smoking, aber er wußte natürlich auch, was sie dachte, als er sie zu einem Glas Champagner
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