Die Jungfrau im Lavendel
fuhr sie zu ihrem Arzt nach Paris, immer tiefer wurden die Schatten auf ihren Wangen. Sie sprach nicht davon, daß sie krank sei, doch er sah es ihr an. Und er sah ihre wachsende Nervosität. Sie war in letzter Zeit auch ihm gegenüber gleichgültig geworden, von einer Heirat wollte sie nichts wissen.
»Ich mache mich doch nicht lächerlich«, sagte sie.
»Ich liebe dich, bellissima«, erwiderte er.
»Das glaube ich dir sogar«, erwiderte sie. »Soweit du zu Liebe fähig bist.«
Hatten sie einander etwas vorzuwerfen? Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt.
»Sobald sie die Tochter hat, wird sie dich hinausschmeißen«, sagte Dido, wenn er sie traf, was er jederzeit ungeniert tun konnte, denn Anita kontrollierte sein Kommen und Gehen nicht im geringsten. Sie war nicht eifersüchtig, ein schlechtes Zeichen bei einer Frau.
Dido war es um so mehr. Ihre Liebe war wunderbar, aber wie ein gefräßiges Ungeheuer. Manchmal hatte Danio genug von ihr, und er war froh, sie nicht mehr täglich um sich haben zu müssen. Aber sie wußte zu viel, sie war mit ihm im Bunde, sie hatte den richtigen Detektiv gefunden, der das Mädchen fand. Und nun mußte das Mädchen schleunigst verschwinden, ehe Anita ebenfalls erfuhr, wo es sich aufhielt.
Ob dieser verknöcherte Militarist, dieser ausgetrocknete Zinnsoldat, dem Mädchen wohl den Brief gegeben hatte? Das hätte Danio gar zu gern gewußt.
Warum Anita den wohl geheiratet hatte? Eine Frau wie sie.
»Er wird nie aufhören, mich zu hassen«, hatte Anita gesagt. »Und die einzige Waffe, die er gegen mich hat, die einzige Rache, die ihm bleibt, er verschweigt mir, wo Virginia ist.«
»Vielleicht lebt sie nicht mehr«, gab Danio zu bedenken.
»Warum sollte sie nicht leben? Wer weiß, wo er sie versteckt hat. Irgendwo bei fremden Leuten wächst sie auf. Wo es möglichst wenig kostet. Oder er hat sie adoptieren lassen.«
»Darf er denn das?«
»Er gilt als ihr Vater.«
Das waren so die Gespräche im letzten Jahr gewesen, bald konnte sie über nichts anderes sprechen, das Kind, die Tochter, war zu einer fixen Idee bei ihr geworden. Danio fühlte sich zunehmend genervt. Und er geriet geradezu in Panik, als sie ihm vor etwa zwei Monaten ihr Schlafzimmer verschloß. Sie gab sich nicht einmal die Mühe, Ausflüchte zu suchen.
»Ich habe keine Lust«, war ihre lapidare Antwort.
Dido lachte höhnisch, als er es ihr schließlich erzählte.
»Das geschieht dir recht, du lächerlicher Gockel. Sie treibt es mit dir, solange sie mag, und dann sagt sie kühl, va-t-en! Bald wird sie dich ganz vor die Tür setzen. Dann kannst du zu mir heraus in die Einsamkeit kommen.«
Doch nun war er hier. Ehe Anita das Mädchen bekam, würde er es bekommen.
Seit zwei Tagen war er hier, war durch die Gegend gefahren, hatte sich alles angesehen, sein Plan war fertig. Der Geburtstag heute – man mußte abwarten, was da geschah. Vielleicht durften die Klosterschülerinnen einen Ausgang machen, Kaffee trinken, möglicherweise ergab sich die Gelegenheit, sie kennenzulernen. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, wie sich so ein Klosterdasein für junge Mädchen abspielte. Aber man mußte damit rechnen, daß sie ohne Bewachung das Kloster nicht verlassen durften.
Nun hatte er sie gesehen, und er hatte auch gleich gewußt, wer der Mann war, in dessen Begleitung sie hier saß. Der Herr Papa, der nicht der Papa war. Monsieur le cocu, haha! Hatte er ihr den Brief gegeben oder nicht? Wußte Virginia, wo ihre Mutter sich aufhielt und daß sie dort willkommen sein würde, ja, daß sie sehnlichst erwartet wurde?
Das war die Frage, die nur sie selbst ihm beantworten konnte. Er blickte hinter der Zeitung zur Tür und wartete auf Virginias Rückkehr. Warum blieb sie so lange? Waren es doch Tränen gewesen, was er in ihren Augen gesehen hatte?
Der Herr Papa blickte stur in das grüne, sich sanft neigende Gebirgstal hinab. Sehr glücklich schien das Zusammensein der beiden nicht zu verlaufen.
Und wieder die spannende Frage: Hatte er ihr den Brief gegeben? Was geschah, wenn Virginia sich morgen auf die Reise begab, um ihre Mutter zu besuchen? Oder wenigstens den Brief beantwortete.
»Sie wird dich wegschmeißen wie einen alten Lappen, wenn sie die Tochter hat«, so Didos Worte.
Sie würde die Tochter nicht bekommen. Darum war er hier. Sein Mund wurde hart, der Zug Gemeinheit in seinem Gesicht, den er so gut verbergen konnte, trat deutlich hervor. Die Kleine mußte aus dem Weg, sonst kam er nie an das Geld
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