Die Jungfrau im Lavendel
Verteidigung anzuführen. Was sollte es auch, die Männer waren ja getötet worden. Erreicht hatte er gar nichts. Schließlich war er ein freier Mann, doch er stand abermals vor dem Nichts. Er mußte, er wollte für seine Mutter sorgen. Er hatte eine Frau, die allerdings sehr gut für sich selber sorgen konnte. Daß sie ihn betrog, hatte er erstmals während seines Heimaturlaubs nach dem Kopfschuß erfahren, und während die Amerikaner noch nach seinen Kriegsverbrechen forschten, hatte sie bereits festen Fuß in amerikanischen Offizierscasinos gefaßt. Dank ihr litten sie keine Not in jener harten Zeit in Berlin. Aber von dem zu essen, was der amerikanische Wagen ihnen vors Haus fuhr, war Stettenburg eine tiefe Demütigung, und daß er sich damals noch nicht von Anita trennte, daß er sie und ihr Leben ertrug, das tat er hauptsächlich seiner Mutter zuliebe, wobei er sich die größte Mühe gab, ihr vorzuspielen, seine Ehe sei in Ordnung. Was natürlich Unsinn war, denn die Gräfin von Maray wußte länger als er, welche Art Leben Anita führte. Sie gab vor, es nicht zu wissen, ihm zuliebe, ihm die Schande zu ersparen, daß seine Mutter ihn bemitleidete. So belogen sie sich beide, und nur das machte es möglich, daß die Ehe zwischen ihm und Anita noch bis 1950 erhalten blieb.
1950 bekam Anita ein Kind; das war höchst erstaunlich, sie war zu der Zeit schon vierunddreißig und hatte es bisher abgelehnt, Kinder zu bekommen. Sie mache sich nichts daraus, war ihre ständige Aussage zu diesem Thema. Aber nun war sie dem begegnet, was sie ihre große Liebe nannte, dem Mann aus Virginia, ein blendend aussehender Amerikaner, etwas jünger als sie. Und sie bekam das Kind nicht aus Liebe, nur weil sie hoffte, ihr Freund würde sich scheiden lassen. Wovon zunächst keine Rede sein konnte. Noch ehe das Kind geboren war, kehrte er nach Amerika zurück. Nach ihrer Scheidung reiste Anita ihm nach, sie gab nicht so leicht auf, sie wußte, daß auch er sie liebte. Doch als sie in Richmond eintraf, war ihr Geliebter schon tot, er war zwei Wochen zuvor mit dem Auto verunglückt, er war betrunken, wie man ihr erzählte, und sie nahm sofort an, er habe sich aus Kummer betrunken, weil er von ihr getrennt war.
Sie kehrte nicht nach Deutschland zurück. Sie fragte niemals nach dem Kind, der kleinen Virginia Elisabeth, die den Namen Stettenburg-von Maray trug und der Fürsorge des Mannes überlassen worden war, der nicht ihr Vater war. Das wußten wenige Menschen; außer Ferdinands zweiter Frau wußten es nur die Freunde in München. Ludwig Landau kannte recht genau den Lebenslauf seines Freundes, diese unglückliche erste Ehe mit einer Frau, die charakterlich nicht viel taugte, und daß auch Ferdinands zweite Ehe nicht annähernd glücklich genannt werden konnte, wußte er auch. Immerhin bot sie ihm ein finanziell gesichertes Dasein. Und sie hatte die Gräfin von Maray in ihren letzten Lebensjahren vor Not bewahrt.
»Nur schade«, so hatte Ludwig einmal zu seiner Juschi gesagt, »daß da nicht wenigstens noch ein Kind dabei herausgekommen ist. Es hätt' der Seele vom Ferdinand ganz gut getan, wenn er einmal ein eigenes Kind gehabt hätte.«
Juschi und Ludwig hatten drei Kinder, die Söhne Johannes und Clemens und eine Tochter namens Angela, die im Alter zwischen den Buben stand.
Sie war die einzige von der Familie, die Ferdinand an diesem Abend nicht antraf. Angela war verheiratet, natürlich mit einem Juristen, und lebte in Nürnberg. Aber die beiden Söhne waren zugegen. Johannes, der eine Anwaltspraxis in München hatte, wohnte mit seiner Frau gleich um die Ecke und war gekommen, um Ferdinand zu begrüßen. Clemens, der Jüngste, siebenundzwanzig, wohnte, wie immer, wenn er sich in München aufhielt, in seinem Elternhaus. Er hatte von der Jurisprudenz nichts wissen wollen, er war Journalist und soeben von einer Reportage aus Vietnam zurückgekehrt.
»Mei, bin ich froh, daß der Bub wieder da ist«, war denn auch das erste, was Juschi sagte. »Und grad schrecklich ist, was er erzählt von da drunten. Muß denn allweil in der Welt Krieg sein? Kann's denn nicht mal genug damit sein? Sag, Ferdl, warum san die Menschen so blöd.«
»Das darfst grad ihn net fragen, alter Krieger, der er ist«, sagte ihr Mann.
Ferdinand seufzte.
»Maria und Josef«, das hatte er noch von seiner Mutter, »für mich ist der Krieg schon lang vorbei, Juschi. Und ich wäre auch lieber ein Offizier im Frieden gewesen wie mein Vater. Für den Siebziger Krieg
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