Die Jungfrau im Lavendel
heran. Lästig, daß der Vater hier war. Ob der wohl lange bleiben würde?
Da kam sie wieder.
Durch das Fenster sah er sie durch das Lokal kommen, stand rasch auf, und direkt unter der Tür traf er mit ihr zusammen. Die Brille hatte er abgenommen, trat zur Seite, um sie vorbeizulassen, und sah sie an. So, wie er nun einmal verstand, eine Frau anzusehen. Ihre Blicke trafen sich. Er lächelte. Virginia blickte verwirrt zur Seite. Doch als sie wieder an ihrem Platz saß, blickte sie zur Tür hinauf und sah, daß der Mann an dem Tisch neben der Tür saß und sie ansah. Und dann lächelte er wieder.
»Nun, wie wirkt die Kette?« fragte ihr Vater.
»Sie ist wunder-wunderschön. Ich danke dir nochmals herzlich.«
Sie neigte den Kopf, das blonde Haar fiel ihr über die Wange, denn nun endlich hatte sie das Band entfernt.
Und ein wenig Rouge auf die Lippen gelegt.
»Tja«, sagte er, »langsam muß ich nun fahren. Ich will heute noch nach München.«
»Och!« machte sie enttäuscht.
»Ich habe morgen dort zu tun.«
Sie mußte froh sein, daß er überhaupt gekommen war. Und sie hatte die schöne Kette bekommen, Teresa würde staunen. Und er hatte von ihren Plänen erfahren, das war auch schon etwas wert. Ob sie noch einmal davon anfing? Besser nicht. Er war keiner, dem man etwas zweimal sagen mußte.
Er winkte der Bedienung, bezahlte, und dann stiegen sie die Treppen der Terrasse hinab. Virginia strich das Haar zurück, wie zufällig blickte sie über die Terrasse, und da – der fremde Mann war aufgestanden, lächelte und hob grüßend die Hand.
Kannte der sie denn? Unsinn, er kannte sie nicht, das wußte sie gut genug. Er flirtete mit ihr. So etwas konnte es doch gar nicht geben. Zu schade, daß Teresa nicht hier war, der hätte man das erzählen können. Und man konnte sich sogar dazudenken, was sie sagen würde.
Laß uns ausreißen und einen kleinen Abendbummel machen. Vielleicht treffen wir deinen feschen Unbekannten.
Es war kaum anzunehmen, daß ein Mann wie dieser in Gollingen Urlaub machte. Was tat er wohl hier?
Das immerhin hatte Danio erreicht, daß sich Virginia, trotz allem, was an diesem Tag geschehen war, in Gedanken mit ihm beschäftigte. Ganz nebenbei natürlich nur. Aufregend wurde die Sache erst, als sie ihn am nächsten Tag wiedersah. Nicht einmal sie konnte so naiv sein, an einen Zufall zu glauben.
Der Freund
Es war bereits später Abend, als Ferdinand Stettenburg-von Maray in München eintraf. Dennoch rief er, kaum im Hotel angekommen, in Harlaching bei Landaus an. Ludwig war selbst am Telefon.
»Na, endlich bist du da. Wir warten schon lang auf dich.«
»Ja, es ist spät geworden. Die Fahrt zieht sich doch ziemlich hin.«
»Wie war's denn? No, das kannst uns gleich erzählen. Nimm dir ein Taxi und komm heraus.«
»Jetzt noch? Es ist schon gleich zehn.«
»Da macht doch nichts. Ist ein schöner Sommerabend, wir können im Garten sitzen. Oder soll der Clemens dich holen?«
»Gewiß nicht. Ich hab selbst einen Wagen.«
»Den läßt in der Hotelgarage. Wir wollen doch noch ein gutes Glas Wein zusammen trinken. Zu essen gibt's auch was. Also, wasch dir die Hände und komm.«
Mit einem erleichterten Seufzer legte der Oberst den Hörer auf. Er hatte im stillen gehofft, Ludwig heute noch zu sehen, eigentlich hatte er schon gegen acht in München sein wollen.
Doch sein Aufenthalt in Enzensbach hatte länger gedauert als vorgesehen, das lag an dem erstaunlichen Gespräch, das er mit dem Mädchen geführt hatte. Während der ganzen Fahrt hatte es ihn beschäftigt, und er konnte es kaum erwarten, mit jemand darüber zu sprechen. Nicht mit jemand, mit seinem Freund Ludwig, und falls Juschi, Ludwigs gescheite Frau, dabei sein würde, war es noch besser.
Ludwig Landau war der beste Freund, den Ferdinand besaß, genaugenommen der einzige Freund, den er je besessen hatte. Ihre Freundschaft begann im Ersten Weltkrieg; zwei junge Fähnriche, die gemeinsam die Hölle von Verdun durchlitten, einander halfen, einander vertrauten, die beide in der gleichen Nacht verwundet wurden und sich im gleichen Lazarett wiederfanden, Seite an Seite. Es lag fast etwas Schicksalhaftes in ihrer Begegnung, so jedenfalls nannte es Ludwig Landau, der gelegentlich vor großen Worten nicht zurückscheute.
Beide überlebten den Krieg ohne ernsthafte Blessuren, und beide standen sie nach dem Krieg vor der Situation, ihr Leben noch einmal zu beginnen, was so schwierig eigentlich nicht sein konnte, sie waren gerade zwanzig
Weitere Kostenlose Bücher