Die Jungfrau im Lavendel
war er noch zu jung, und als es vierzehn losging, war er schon pensioniert.«
»Wenn er nicht bald darauf gestorben wär, hätten sie ihn schon noch geholt, so alt war er noch nicht.«
Ferdinand lachte, es klang ein wenig bitter.
»Die einen müssen jeden Krieg mitmachen, andere sind betrübt, weil es ihnen erspart geblieben ist. Mein Vater hat immer darunter gelitten, daß er nie in einen Krieg ziehen durfte. Alles, was damals so passierte, Kiau-tschou, Hereroaufstand und was weiß ich noch, sie ließen ihn niemals mitspielen. Er war immer ein Schreibtischsoldat, wie er es nannte.«
»Ein sehr begabter Geograph, wie wir wissen.«
»Jetzt hörts auf vom Krieg und von Soldaten zu reden. Erzähl von Virginia«, sagte Juschi.
Sie nahm einen genießerischen Schluck von ihrem Wein, schob Ferdinand den Teller mit dem Preßsack, dem Leberkäs, den schon geschmierten Broten und die Schüssel mit dem Kartoffelsalat näher. »Und iß vor allem was nach der langen Fahrt.«
»Was soll er denn nun tun?« fragte ihr Mann. »Reden oder essen?«
»Beides. Das geht ohne weiteres.«
»Bei dir scho.«
»Bei dir auch.«
Ferdinand griff wirklich zu, weniger aus Hunger, sondern weil ihm das Erzählen schwerfiel, selbst den Freunden gegenüber.
»Wie schaut's denn aus?« ergriff Juschi die Initiative, »das arme Hascherl? Drei Jahre hast dich nicht um sie gekümmert.«
Ihr Mann blickte sie warnend an, und Ferdinand fuhr auch schon hoch, schluckte das Bauerngeräucherte hinunter, das er gerade in den Mund gesteckt hatte, und sagte zornig: »Was für einen Grund in drei Teufels Namen habe ich überhaupt, mich um sie zu kümmern?« Schweigen um den Tisch.
»Nun ja«, sprach Johannes, der Anwalt, dessen Frau soeben ein Baby bekommen hatte, von dem er ganz sicher sein konnte, daß es von ihm war, denn es hatte, winzig klein, den gleichen Leberfleck am Unterbauch wie er. »Du hast schon recht, Onkel Ferdinand. Du hast mehr für das Kind getan, als man von dir verlangen konnte.«
»Nun ja«, äffte sein Bruder Clemens ihn nach, »man kann auch etwas für ein armes einsames Kind tun, wenn es nicht das eigene ist.«
»Falls es sich um ein total fremdes Kind handelt«, dozierte Johannes, »dann ist das ganz etwas anderes. Dann ist es halt eine gute und edle Tat, für ein alleinstehendes Kind zu sorgen. Im vorliegenden Fall ist es ein besonderes Problem, und wenn Onkel Ferdinand sich für immer und alle Zeit von diesem Kind abgewendet hätte, so könnte man ihm gewiß keinen Vorwurf machen.«
»Jetzt hört auf, von einem Kind zu sprechen«, sagte Juschi, »soviel ich weiß, ist Virginia achtzehn geworden. Wie sieht sie denn aus?«
»Denkst du, ich habe sie fotografiert?« fragte der Oberst bissig.
»Du könntest sie beschreiben«, sagte Juschi friedlich. »Ist sie so schön wie ihre Mutter?«
Ferdinand nahm ein Stück vom Leberkäs und kaute langsam.
Ludwig Landau beobachtete ihn bekümmert. Der Freund sah schlecht aus, geradezu miserabel sah er aus. Hager war er immer gewesen, aber jetzt sah er krank aus, elend. Und alt war er geworden.
»Nein, so schön wie ihre Mutter ist sie nicht. Aber eine gewisse Ähnlichkeit, doch, die ist vorhanden.«
»Und wie ist sie so?« bohrte Juschi weiter.
Ferdinand lachte kurz auf.
»Sie hat künstlerische Ambitionen, oder wie man das nennen soll. Sie möchte auf eine Kunstakademie. Malen möchte sie.«
»Naa?« rief Juschi aus, die selbst eine begeisterte Hobbymalerin war, »kann net wahr sein? Aber das ist ja fabelhaft.«
»Wir sind dafür, daß sie dort im Kloster bleibt«, sprach der Oberst gemessen.
»Was?« rief Juschi, »das kann nicht dein Ernst sein! Eine Nonne wollt ihr aus dem Mädel machen? Das hat sich bestimmt deine Frau ausgedacht.«
»Sie muß deswegen keine Nonne sein. Sie kann dort später als Lehrerin arbeiten.«
»Und als Lehrerin in so einer Klosterschule ist man keine Nonne? Das kannst mir doch nicht einreden.«
Es war überflüssig, nun einen Vortrag über Schwester Borromea zu halten. Der Oberst schob den Teller beiseite und sagte ärgerlich: »Irgendwo muß sie schließlich bleiben.«
Juschi hob mit einer raschen Bewegung den Kopf, sah ihren Mann an, dann ihre Söhne, schließlich den Gast. Sie hatte soeben einen Entschluß gefaßt.
Ihr Mann sah es ihr an.
»Was ist?« fragte er.
»Ah, nix«, erwiderte sie freundlich. »Ich denk bloß nach.«
»Man sieht's dir an.«
Er nahm den Korkenzieher und zog eine neue Flasche Bocksbeutel auf, nahm einen Probeschluck
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