Die Jury
vielleicht zu überleben.
»Im Ernst«, sagte er. »Warum ausgerechnet Ole Miss?«
»Es ist eine gute juristische Fakultät.«
»Ja, ich weiß. Aber normalerweise lockt sie nicht die vielversprechenden Studenten aus dem Nordosten an. Eure Universitäten genießen einen wesentlich besseren Ruf. Wir schicken unsere besten jungen Leute dorthin.«
»Mein Vater hält nichts von Anwälten, die an den sogenannten Eliteuniversitäten studiert haben. Früher war er sehr arm und mußte abends und nachts arbeiten, um sein Studium bezahlen zu können. Jahrelang ertrug er die Arroganz der reichen, gebildeten und inkompetenten Anwälte. Heute lacht er über sie. Er sagte mir: ›Du kannst überall studieren, aber wenn du eine Eliteuniversität wählst, bekommst du keinen Cent von mir.‹ Und dann meine Mutter. Dauernd erzählte sie mir Geschichten über den Süden, und deshalb wollte ich unbedingt hierher. Außerdem sind die Südstaaten nach wie vor entschlossen, die Todesstrafe anzuwenden. Grund genug für mich, den Norden zu verlassen.«
»Warum sind Sie gegen die Todesstrafe?« erkundigte sich Jake.
»Sie nicht?«
»Nein. Ich bin absolut dafür.«
»Ich kann kaum glauben, so etwas von einem Strafverteidiger zu hören.«
»Meiner Ansicht nach sollten wieder Galgen vor dem Gerichtsgebäude benutzt werden.«
»Sie scherzen, nicht wahr? Das hoffe ich jedenfalls. Bitte sagen Sie mir, daß Sie mich auf den Arm nehmen wollen.«
»Ich meine es ernst.«
Ellen kaute nicht mehr, und das Lächeln verschwand von ihren Lippen. In ihren Augen funkelte es, als sie Jake musterte. »Sie meinen es tatsächlich ernst.«
»Ja. Das einzige Problem mit der Todesstrafe besteht darin, daß sie nicht häufig genug angewendet wird.«
»Haben Sie das Mr. Hailey erklärt?«
»Mr. Hailey verdient die Todesstrafe nicht. Im Gegensatz zu den beiden Männern, die seine Tochter vergewaltigten.«
»Ich verstehe. Wie stellen Sie fest, wer sie verdient und wer nicht?«
»Ganz einfach. Man sieht sich das Verbrechen an – und dann den Verbrecher. Wenn es sich um einen Drogenhändler handelt, der einen Undercover-Beamten vom Rauschgiftdezernat umnietet, so endet er in der Gaskammer. Wenn es um einen Gammler geht, der ein dreijähriges Mädchen vergewaltigt, es in einem Schlammloch ertränkt und die Leiche von einer Brücke wirft, so schickt man ihn ins Jenseits und dankt Gott dafür, daß er tot ist. Wenn man einen geflohenen Häftling schnappt, der des Nachts in ein Bauernhaus einbricht, ein älteres Ehepaar zusammenschlägt und foltert, bevor er es zusammen mit dem Haus verbrennt, so schnallt man ihn auf einen Stuhl, befestigt einige Drähte an ihm, betet für seine Seele und zieht den Hebel. Und wenn man zwei Betrunkene erwischt, die ein zehnjähriges Mädchen mehrmals vergewaltigten, es mit ihren Cowboy-Stiefeln traten, ihm den Kiefer zertrümmerten und versuchten, es zu erhängen... Dann sperrt man sie voller Freude in die Gaskammer und hört sich zufrieden an, wie sie wimmernd ihr Leben aushauchen. Es ist ganz einfach.«
»Es ist barbarisch.«
»Solche Verbrechen sind barbarisch. Für derartige Kriminelle kommt die Todesstrafe einer Gnade gleich.«
»Und wenn Mr. Hailey zum Tod verurteilt wird?«
»Wenn das geschieht, verbringe ich die nächsten zehn Jahre damit, Berufungsverfahren durchzusetzen und alles zu versuchen, um ihm das Leben zu retten. Sollte man ihn trotzdem jemals auf den elektrischen Stuhl schnallen, leiste ich Ihnen, den Jesuiten und vielen anderen Gesellschaft, die vor dem Gefängnis protestieren, Kerzen halten und Trauerlieder singen. Später stehe ich hinter der Kirche an seinem Grab, mit der Witwe und den Kindern. Dann wünsche ich mir, ihm nie begegnet zu sein.«
»Haben Sie jemals eine Hinrichtung beobachtet?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Ich habe zwei gesehen. So etwas hinterläßt einen nachhaltigen Eindruck. Sie würden bestimmt Ihre Meinung ändern«
»In dem Fall verzichte ich auf eine entsprechende Erfahrung.«
»Hinrichtungen sind schrecklich.«
»Waren die Familien der Opfer zugegen?«
»Ja, jedesmal.«
»Wie haben sie reagiert? Mit Entsetzen und Bestürzung? Nein, sicher nicht. Ich nehme an, sie spürten Erleichterung darüber, daß ihr Alptraum zu Ende ging.«
»Sie erstaunen mich.«
»Und ich bin von Leuten wie Ihnen erstaunt«, sagte Jake. »Wie können Sie sich so engagiert für Verbrecher einsetzen, die mit ihren Taten die Todesstrafe herausfordern und sie auch bekommen sollten, auf der
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