Die Jury
Eva Brigance wohnten im alten Familienhaus, einer großen Villa mit fünf Morgen Land. Sie war nur drei Blocks von der Main Street und zwei von der Schule entfernt, die Jake und seine Schwester zwölf Jahre lang besucht hatten. Seine Eltern lebten im Ruhestand, waren jedoch jung genug, um in jedem Sommer mit einem Wohnmobil kreuz und quer durch den Kontinent zu reisen. Am Montag wollten sie in Richtung Kanada aufbrechen, um nach dem Tag der Arbeit (6) zurückzukehren. Jake war ihr einziger Sohn. Eine ältere Tochter lebte in New Orleans.
Das Mittagessen am Sonntag erwies sich als typisches Südstaaten-Festmahl aus gebratenem Fleisch und frischem Gemüse: gekocht, gebacken, in Eierteig gehüllt, dazu zwei verschiedene Bratensoßen, Wasser- und Honigmelonen, Obst, Mürbeteig mit Zitronencremefüllung, Butterkekse und Erdbeertorte. Nur ein kleiner Teil davon wurde verspeist. Den Rest packte Eva ein, damit ihn Carla und Jake nach Clanton mitnehmen konnten, wo er für eine Woche reichte.
»Wie geht es deinen Eltern, Carla?« fragte Mr. Brigance, als er einen Teller mit Gemüse weiterreichte.
»Gut. Gestern habe ich mit meiner Mutter gesprochen.«
»Sind sie in Knoxville?«
»Nein. Sie verbringen den Sommer in Wilmington.«
»Wollt ihr sie besuchen?« erkundigte sich Eva, griff nach einer mehrere Liter fassenden Karaffe und schenkte Tee ein.
Carla sah zu Jake hinüber, der Mondbohnen auf Hannas Teller schaufelte. Er wollte nicht über Carl Lee Hailey sprechen. Seit Montag hatten sie den Fall bei jeder Mahlzeit erörtert, und er war nicht in der Stimmung, jedesmal die gleichen Fragen zu beantworten.
»Ja, vielleicht. Kommt darauf an, ob Jake Zeit genug hat. Vielleicht steht ihm ein arbeitsreicher Sommer bevor.«
»Das haben wir gehört«, sagte Eva betont langsam, um ihren Sohn daran zu erinnern, daß er seit dem Doppelmord in Clanton nicht mehr angerufen hatte.
»Ist dein Telefon defekt, Sohn?« erklang Mr. Brigances Stimme.
»Wir haben uns eine andere Nummer geben lassen.«
Die vier Erwachsenen aßen voller Unbehagen, während Hanna Kekse und Kuchen beobachtete.
»Ja, ich weiß. Das teilte uns die Auskunft mit. Eine Nummer, die nicht im Telefonbuch steht.«
»Tut mir leid. Ich bin sehr beschäftigt gewesen. Es ging drunter und drüber.«
»Das haben wir gelesen«, sagte Jakes Vater.
»Er hat die beiden Männer kaltblütig erschossen«, meinte Eva.
»Die Vergewaltiger seiner Tochter, Mutter. Was empfändest du, wenn jemand Hanna vergewaltigte?«
»Was ist Vergewaltigung?« fragte das Mädchen.
»Schon gut, Schatz«, warf Carla ein. »Könnten wir bitte das Thema wechseln?« Sie musterte die drei Brigances mit einem festen, durchdringenden Blick, und daraufhin wandten sich alle wieder der Mahlzeit zu. Die Schwiegertochter hatte gesprochen, so klug und weise wie üblich.
Jake mied den Blick seines Vaters, sah die Mutter an und lächelte. »Entschuldige bitte. Ich habe es satt, über den Fall zu reden.«
»Ich schätze, wir müssen die Zeitungen lesen, wenn wir Bescheid wissen wollen«, kommentierte Mr. Brigance.
Sie sprachen über Kanada.
Während die Brigances ihr Mittagessen beendeten, schwankten die Gläubigen in der Berg-Zion-Kapelle hin und her. Bischof Ollie Agee trieb seine Gemeinde nun zur Ekstase. Diakone tanzten. Presbyterianer sangen. Frauen fielen in Ohnmacht. Erwachsene Männer schrien und hoben die Arme gen Himmel, während kleine Kinder in heiligem Entsetzen aufsahen. Chormitglieder sprangen und zuckten, wirbelten um die eigene Achse, ließen sich fallen und heulten verschiedene Strophen des gleichen Lieds. Der Organist spielte eine Melodie, der Pianist eine andere, und der Chor fügte eine dritte hinzu. Der Bischof hüpfte vor der Kanzel in seinem langen weißen Umhang mit purpurnem Saum. Er kreischte und betete, flehte zu Gott und schwitzte.
Das Chaos pulsierte, schwoll mit jeder neuen Ohnmacht an, um dann aufgrund von Erschöpfung nachzulassen. Agee hatte jahrelange Erfahrung und wußte, wann die Erregung den Höhepunkt erreicht, wann das Delirium Müdigkeit wich und die Gemeinde eine Ruhepause benötigte. Genau im richtigen Augenblick tänzelte er zur Kanzel und klatschte mit Gottes Macht in die Hände. Sofort verklang die Musik. Die Zuckungen hörten auf. Ohnmächtige erwachten. Kinder weinten nicht mehr. Ruhig setzten sich die Gläubigen. Jetzt wurde es Zeit für die Predigt.
Als der Bischof damit beginnen wollte, öffnete sich die rückwärtige Tür der Kapelle, und die Haileys
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