Die Jury
Sie während der letzten Tage Gelegenheit, mit Lester zu sprechen?«
»Ja. Er und Gwen kamen heute hierher. Brachten mir Leckereien und erzählten von den Banken.«
Jake wollte in Hinsicht auf sein Honorar einen unerschütterlich festen Standpunkt vertreten – neunhundert Dollar reichten nicht, um Carl Lee zu vertreten. Dieser Fall hielt ihn mindestens drei Monate lang beschäftigt, und deshalb brauchte er wesentlich mehr Geld. Es war ihm und seiner Familie gegenüber nicht fair, wenn er praktisch gratis arbeitete. Woraus folgte: Es blieb Carl Lee keine andere Wahl, als den geforderten Betrag irgendwie aufzutreiben. Er hatte viele Verwandte. Gwen stammte aus einer großen Familie. Sie mußten Opfer bringen, den einen oder anderen Wagen verkaufen, vielleicht auch etwas Land, um Jake zu bezahlen. Andernfalls würde er sich weigern, Carl Lee zu verteidigen.
»Ich gebe Ihnen die Übertragungsurkunde meines Grundbesitzes«, bot sich der Klient an.
Jakes innerer Widerstand schmolz. »Darauf lege ich keinen Wert. Ich möchte Bargeld. Sechstausendfünfhundert Dollar.«
»Sie sind Anwalt. Finden Sie eine Möglichkeit für mich, Sie zu bezahlen. Dann bekommen Sie Ihr Honorar.«
Jake erkannte seine Niederlage. »Für neunhundert Dollar bin ich nicht imstande, Sie zu vertreten, Carl Lee. Ich darf nicht zulassen, daß mich dieser Fall in den Bankrott treibt. Himmel, ich bin Rechtsanwalt! Eigentlich sollte ich eine Menge verdienen.«
»Ich bezahle Sie. Das verspreche ich. Vielleicht dauert es eine Weile, aber Sie bekommen Ihr Geld. Vertrauen Sie mir.«
Und wenn du nach dem Prozeß in der Todeszelle sitzt? dachte Jake. Er wechselte das Thema. »Morgen versammelt sich das große Geschworenengericht, und ich trage Ihren Fall vor.«
»Ich werde also vernommen?«
»Nein, es bedeutet, daß man Anklage gegen sie erhebt. Zweifellos finden sich viele Zuschauer und Reporter im Saal ein. Richter Noose wird die neue Verhandlungsperiode eröffnen. Buckley läßt es sich bestimmt nicht nehmen, vor den Kameras zu posieren und sich in Szene zu setzen. Ein wichtiger Tag. Am Nachmittag beginnt Noose mit einem Prozeß, bei dem es um bewaffneten Raubüberfall geht. Wenn man eine offizielle Anklageerhebung beschließt, findet am Mittwoch oder Donnerstag die Verlesung statt.«
»Die was?«
»Die Verlesung. Bei einem Mordprozeß ist der Richter verpflichtet, die Anklageschrift im Gericht vor Gott und der Welt zu verlesen. Sicher macht man eine große Sache daraus. Wir bekennen uns nicht schuldig, und Noose setzt den Beginn des Verfahrens fest. Wir beantragen eine Kaution, und der Richter lehnt ab. Wenn ich den Antrag stelle, stimmt Buckley ein lautes Protestgeheul an. Je mehr ich an ihn denke, um so mehr verabscheue ich ihn. Ich kann den Kerl nicht ausstehen.«
»Warum komme ich nicht gegen Kaution frei?«
»Bei einem Mordfall braucht der Richter keine Kaution festzusetzen. Er hat die Möglichkeit dazu, aber meistens nimmt er sie nicht wahr. Und selbst wenn Noose unseren Antrag billigt – Sie wären bestimmt nicht in der Lage, soviel Geld aufzubringen. Verschwenden Sie keine Gedanken daran. Sie bleiben bis zum Prozeß im Gefängnis.«
»Ich habe meinen Job verloren.«
»Wann?«
»Gwen fuhr am Freitag zur Fabrik, um meinen Lohn abzuholen. Man teilte ihr mit, ich sei entlassen. Nett, nicht wahr? Elf Jahre habe ich dort gearbeitet. Jetzt fehle ich seit fünf Tagen und werde gefeuert. Wahrscheinlich glauben die Leute, daß ich nicht zurückkehre.«
»Das tut mir leid, Carl Lee. Es tut mir wirklich leid.«
12
D er Ehrenwerte Omar Noose war nicht immer ehrenwert gewesen. Bevor er zum Richter des zweiundzwanzigsten Bezirksgerichts ernannt wurde, arbeitete er als Rechtsanwalt mit eher durchschnittlichem Talent und nur wenigen Klienten. Aber es mangelte ihm nicht an politischem Geschick. Fünf Legislaturperioden in Mississippi hatten ihn korrumpiert und die politische Kunst des Schwindelns und der Manipulationen gelehrt. Als Vorsitzender des Finanzkomitees führte Senator Noose ein Leben in Wohlstand, und nur wenige Leute in der Van Buren County fragten sich, wie er mit einem Gehalt von siebentausend Dollar im Jahr so gut über die Runden kam.
Wie die meisten Mitglieder der Mississippi-Legislative bewarb er sich einmal zuviel für die Wiederwahl, und im Sommer 1971 mußte er seinen Platz einem unbekannten Rivalen überlassen.
Ein Jahr später starb Richter Loopus, und Noose ließ seine Beziehungen spielen: Er überredete einige
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