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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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kamen herein. Tonya ging allein und hinkte, sie hielt die Hand ihrer Mutter. Langsam schritt die Familie durch den Mittelgang und nahm auf einer der vorderen Bänke Platz. Agee nickte dem Organisten zu, und eine leise Melodie ertönte. Die Angehörigen des Chors summten sanft dazu und neigten den Oberkörper von einer Seite zur anderen. Die Diakone erhoben sich und schwankten im Takt. Die Presbyterianer folgten ihrem Beispiel, standen ebenfalls auf und sangen. Dann seufzte Schwester Crystal laut und verlor das Bewußtsein. Ihr Ohnmachtsanfall war ansteckend, und die übrigen Schwestern sanken wie Fliegen zu Boden. Die Presbyterianer sangen lauter als der Chor, der eine Herausforderung darin sah und sich noch mehr Mühe gab. Der Organist gewann den Eindruck, daß ihn niemand hörte, und deshalb erhöhte auch er die Lautstärke. Der Pianist hämmerte ebenfalls auf die Tasten und wetteiferte mit dem Organisten um den dominierenden Takt. Bischof Agee verließ das Podium und tanzte den Haileys entgegen. Alle schlossen sich ihm an – der Chor, die Diakone, die Presbyterianer, Frauen und weinende Kinder –, als er sich Tonya näherte, um sie zu begrüßen.
    Der Aufenthalt im Gefängnis belastete Carl Lee nicht sonderlich. Es wäre ihm lieber gewesen, daheim zu sein, aber angesichts der besonderen Umstände fand er das Leben hinter Gittern erträglich. Es handelte sich um ein neues Gefängnis, mit dem Geld der Bundesregierung gebaut – nach einem Prozeß, bei dem es um die Rechte von Häftlingen gegangen war. Zwei korpulente schwarze Frauen bereiteten die Mahlzeiten zu. Sie wußten, wie man kochte – und sie wußten auch, wie man Schecks fälschte. Inzwischen hatten sie sich das Recht erworben, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, aber Ozzie »vergaß«, sie darauf hinzuweisen. Kalfakter servierten das Essen ungefähr vierzig Häftlingen. Dreizehn sollten eigentlich in Parchman sein, aber dort gab es keinen Platz. Sie warteten darauf, irgendwann – vielleicht schon am nächsten Tag – zur isolierten Strafanstalt im Delta gefahren zu werden, wo das Essen nicht so gut war, die Betten nicht so weich. Dort gab es keine Klimaanlage, aber jede Menge blutgieriger Moskitos und schmutzige, häufig verstopfte Toiletten.
    Carl Lees Zelle befand sich direkt neben Zelle zwei mit den Staatsgefangenen. Abgesehen von zwei Ausnahmen hockten dort Schwarze, und sie alle waren gewalttätig. Er teilte seine Zelle mit zwei Ladendieben, die es sehr beeindruckte, einem so illustren Mann Gesellschaft zu leisten. Jeden Abend aß Carl Lee im Büro des Sheriffs und saß dort zusammen mit Ozzie vor dem Fernseher. Er galt als Berühmtheit, und das gefiel ihm fast ebensosehr wie Jake oder dem Bezirksstaatsanwalt. Natürlich hätte er es sich auch gewünscht, mit den Reportern zu sprechen, ihnen von Tonya zu erzählen und zu erklären, warum er nicht im Gefängnis sein sollte, aber sein Anwalt lehnte das ab.
    Am späten Sonntagnachmittag verabschiedeten sich Gwen und Lester. Einige Minuten später schlichen Ozzie, Moss Junior und Carl Lee durch die Hintertür des Gefängnisses und fuhren zum Krankenhaus. Es war Carl Lees Idee gewesen, und Ozzie fand nichts dabei. Looney lag allein in einem Zimmer für Privatpatienten, als sie eintraten. Carl Lee warf einen Blick auf das Bein und starrte den Deputy an. Sie schüttelten sich die Hände. Mit Tränen in den Augen und zittriger Stimme sagte der Gefangene, es täte ihm sehr leid und er hätte nicht beabsichtigt, jemand anderes zu verletzen. Er bedauere zutiefst, daß Looney angeschossen worden war. Looney akzeptierte die Entschuldigung, ohne zu zögern.
    Jake wartete in Ozzies Büro, als die drei Männer zurückkehrten. Ozzie und Moss Junior ließen Klient und Anwalt allein.
    »Wo sind Sie gewesen?« erkundigte sich Jake argwöhnisch. »Ich habe Looney im Krankenhaus besucht.«
    »Was?«
    »Das war doch nicht verkehrt, oder?«
    »Sie sollten mich fragen, bevor Sie jemanden besuchen.«
    »Was ist falsch daran, mit Looney zu reden?«
    »Wenn der Staatsanwalt versucht, Sie in die Gaskammer zu schicken, wird er Looney als seinen wichtigsten Zeugen aufrufen. Das ist alles. Er steht nicht auf unserer Seite, Carl Lee. Wenn Sie Looney begegnen, muß Ihr Anwalt dabei sein. Verstanden?«
    »Nicht ganz.«
    »Warum läßt Ozzie so etwas zu?« murmelte Jake.
    »Es war meine Idee«, gestand Carl Lee.
    »Nun, wenn Sie weitere Ideen haben, so weisen Sie mich rechtzeitig darauf hin, in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Hatten

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