Die Juwelen des Scheichs
dem Gedanken, sie für eine Weile ganz für sich allein zu haben. „Spazieren wir ein bisschen über das Anwesen. Es wäre doch zu schade, diesen herrlichen Vollmond einem leeren Garten zu überlassen, ohne dass jemand ihn gebührend bewundert. Meinen Sie nicht auch?“
„Wird man Sie denn im Haus nicht vermissen?“
„Sollten meine Gastgeber sich Gedanken machen, dass ich so unerwartet verschwunden bin, werden sie zu höflich sein, um es zu sagen. Außerdem muss ich niemandem außer Allah über mein Tun und Lassen Rechenschaft ablegen.“
Die Frau vor ihm verstummte bei diesen Worten. Zahir blickte auf ihre schlanken Füße, deren Nägel den gleichen bezwingenden Farbton hatten wie ihr Kleid.
„Wenn wir zusammen spazieren gehen wollen, brauchen Sie Ihre Schuhe.“
„Sie stehen drüben bei der Bank.“
Gina ging zurück zu dem steinernen Sitz, versteckt hinter grünen Blättern und umweht vom berauschenden Duft weißen Jasmins. Dort schlüpfte sie in ihre flachen Sandalen. Als sie wieder zu Zahir sah, fiel ihr eine goldene Haarsträhne in die Stirn. Lächelnd strich sie die Haare aus dem Gesicht.
Noch nie zuvor hatte ihn das Lächeln einer Frau sprachlos gemacht, so wie jetzt. Er räusperte sich. Ohne weiter darüber nachzudenken, streckte er seine Hand aus. Als sie ihre Hand vertrauensvoll in seine legte, verlor Zahir jedes Gefühl für Raum und Zeit. Die Trauer und der Gefühlsaufruhr, der seit dem Tod seiner Mutter in ihm tobte, lösten sich auf.
Aber auch Gina war fasziniert von ihrem Gegenüber. Ihr gefielen das markante Gesicht mit den unergründlichen dunklen Augen und das lange, glänzend schwarze Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Mit dem langen Gewand, jalabiya genannt, und dem locker um die schmalen Hüften geschlungenen hellbraunen Gürtel hätte er an den Hof eines reichen Kalifen aus längst vergangenen Zeiten gepasst.
Auch wenn es gefährlich sein mochte, einem Mann zu vertrauen, den sie eben erst kennengelernt hatte, glaubte Gina, dass es ihr vom Schicksal bestimmt war, diesen Mann getroffen zu haben. In diesem Teil der Welt nannte man es Kismet . Gerade jetzt brauchte sie ein starkes, verständnisvolles Gegenüber, das ihr die Unsicherheit nahm. Und etwas sagte ihr, dass Zahir ein Mann war, der Gefühle wirklich verstand – was für ein berauschender Gedanke.
Sie nahmen einen gepflasterten Weg, der sich durch den Garten schlängelte. Eine hohe Steinmauer umgab das Gelände und ließ das gesamte Gebäude wie eine Festung wirken. Während das helle Mondlicht ihnen leuchtete, überlegte Gina einmal mehr, wie sie das lähmende Einerlei des Alltags ertragen sollte, wenn sie wieder zu Hause war.
Sobald ihre Mutter sich wieder erholt hätte, würden ihre Tage zweifellos wieder nach dem gleichen Muster ablaufen – als ob lediglich und unabsichtlich eine falsche Note gespielt worden wäre, die schnell berichtigt und vergessen wurde. Doch in Gina wuchs eine Sehnsucht nach etwas Tieferem in ihrem Leben.
Vermutlich hatte sie sich nur etwas vorgemacht, als sie glaubte, dass ein fleißiges Studium und akademische Grade vor ihrem Namen ausreichen würden, um sie zu begeistern und ihr zu einem erfüllten Leben zu verhelfen. Denn seit sie in Kabuyadir war, fragte sie sich, ob sie tatsächlich den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
Natürlich liebte sie ihre Arbeit immer noch. Doch hier, auf der anderen Seite der Erde, hatte sie ein ganzes Paradies an Eindrücken, Klängen und Düften entdeckt, die sie in ihren historischen Büchern nie in dieser Weise kennengelernt hatte.
Ihre Eltern – beide Professoren in ihrem jeweiligen Fachgebiet – fanden genügend Erfüllung in ihren Studien, die sie auch menschlich miteinander verbanden. Ihre Ehe beruhte auf gleichen Interessen und professioneller Bewunderung, aber tiefer gehende Gefühle waren wohl nie im Spiel gewesen. Verantwortungsbewusst hatten sie Gina großgezogen, sie vor Leid und Gefahr beschützt und getan, was richtig war. Es verstand sich von selbst, dass sie eine akademische Karriere einschlug. Nur sehr selten hatte Gina von ihren Eltern gehört, dass sie sie lieb hatten.
Jetzt war ihre Mutter krank, und Gina ahnte genau, wie ihr Vater damit umging. Er würde sich noch mehr in die Welt des Intellekts zurückziehen, anstatt Gefühle zu zeigen. Sie selbst würde verlegen im Krankenhaus am Bett ihrer Mutter sitzen und kaum wissen, was sie sagen oder worüber sie reden sollte.
Ihr Herz war voller Mitgefühl, aber sie hätte schon
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