Die Juweleninsel
Versteckten zu bemerken.
»Ein Späher,« flüsterte Lidrah. »Komm und folge mir! Ich muß sehen, was er will.«
Sie schlichen, jede Deckung geschickt benutzend, dem Manne nach und gelangten so in die Nähe des Kiosk. Hier ergriff der Kundschafter seinen Bruder schnell am Arme.
»Halt, Kaldi! Dort steht ein Posten und hier auch. Siehst Du die Männer beim Kiosk?«
»Ich sehe sie.«
»Weißt Du, was sie sind?«
»Wie sollte ich!«
»Es sind Thugs, ja, es sind sogar Phansegars. Nimm Dich in Acht, Bruder, denn wenn sie uns bemerken, so sind wir ohne alle Gnade und Barmherzigkeit Beide verloren!«
»Woran erkennst Du sie als Phansegars?«
»Ich sah eines ihrer krummen Messer blitzen, und, ja, blicke einmal dort hinüber!«
»Wohin?«
»ach den beiden Männern, welche jetzt die Stufen des Kiosk betreten.«
»Ich sehe sie.«
»Der Zweite von ihnen ist der Phansegar, welchen ich heute auf dem Flosse traf.«
»Unmöglich! Wie sollte sich dieser Mörder wieder mitten in die Stadt herein wagen!«
»In so zahlreicher Gesellschaft? Sei vorsichtig; er hat mir mit dem Tode gedroht.«
»Lidrah, komm und laß uns schnell Leute holen, sie zu fangen.«
»Bist du toll?«
»Nein, aber man muß den Tiger und die Schlange ausrotten so viel man kann.«
»Kaldi, Du bist sehr voreilig!«
»Willst Du Dich in Stücke hacken lassen, wenn sie Dich hier finden?«
»Nein. Aber Du, willst Du den Schatz verloren geben, den wir suchen?«
»Den Schatz? Wie so?«
»Schau, der Kiosk dreht sich!«
»Wahrhaftig! Das ist sonderbar. Was müssen diese Mörder hier vorhaben?«
»Das werden wir ganz sicher noch sehen, ich aber glaube es bereits zu wissen.«
»Was?«
»Sie holen den Schatz.«
»Unmöglich! Wie sollten sie wissen, wo ihn der Maharajah verborgen hat?«
»Das wissen sie, wie ich vermuthe, jedenfalls aus zwei Quellen, statt aus einer.«
»Wie so?« frug der Bruder des Kundschafters begierig.
»Die Thugs haben überall ihre Spione; sie sehen und hören, wo Andere blind und taub bleiben; sie erfahren und wissen Alles, und nichts bleibt ihnen verborgen, weil sie mit dem Auge des Todes sehen, der allwissend, allmächtig und allgegenwärtig ist. Sie sind ganz gewiß heimlich dabei gewesen, als Madpur Singh seinen Schatz verbarg.«
»Dann hätten sie ihn wohl jedenfalls gestohlen?«
»Nein; sie brauchen ihn nicht, denn sie sind auch ohne ihn reich genug. Und weißt Du nicht, daß der Maharajah niemals einen Thug verfolgte? Er war klug gegen sie, nun sind sie seine Freunde gewesen und würden ihn niemals bestohlen haben.«
»Und die zweite Quelle?«
»Ist die Begum. Sie wurde mit einer ganz beispiellosen Kühnheit gerettet, und der sie rettete, ist also wohl ein Phansegar gewesen. Ihr Königreich ist verloren, und da hat sie wenigstens ihre Schätze retten wollen. Um dies zu können, hat sie sich den Thugs anvertraut, und diese kommen jetzt, das große Erbe des Rajah zu holen.«
»Wenn dies wäre, so – –«
Er stockte, denn soeben trat der Phansegar Lubah aus dem Kiosk und gebot:
»Herbei jetzt! Ein jeder erhält ein Paket und trägt dasselbe nach dem Flosse!«
Die beiden Lauscher beobachteten mit zitternder Spannung das geschäftige aber lautlose Treiben, welches nun begann, bis sich das Gartenhäuschen wieder drehte und Lubah mit dem Obersten der Phansegars wieder aus dem Kiosk trat.
»Fertig; jetzt kommt zurück!« gebot die halblaute Stimme des Anführers.
Die geheinmißvollen Männer verschwanden einer nach dem andern durch die Mauerlücke.
»Wahrhaftig, das ist der Schatz gewesen,« meinte der Bruder des Kundschafters.
»Er war es. Siehst Du nun, daß ich Recht hatte?«
Es hatte sich Beider eine unbeschreibliche Erregung bemächtigt, welche sie nicht zu beherrschen vermochten. Es galt ja, sich einen Reichthum nicht entschlüpfen zu lassen, welcher beinahe beispiellos zu nennen war und der sich jetzt in Händen befand, die nicht gewohnt waren, etwas herauszugeben, was sie einmal angefaßt hatten.
»Wis thun wir?« frug Kaldi.
»Wir können jetzt nichts Anderes thun, als ihnen folgen, um zu sehen, wohin sie gehen.«
»So komm schnell!«
Sie traten durch die Mauerbresche und schlichen sich nach der Gegend zu, in welcher soeben das Geräusch der letzten Schritte der Phansegars verstummte.
»Langsam!« gebot Lidrah dem Bruder. »Wir haben es mit lauter Teufeln zu thun und müssen im höchsten Grade vorsichtig sein. Lege Dich zur Erde. Wir müssen auf dem Leibe vorwärts kriechen, wenn sie uns nicht
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